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Von Haiku, Festhalten und Loslassen

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Manchmal gibt es keine andere Möglichkeit für mich, sofort etwas aufzuschreiben.

Dabei kommt es auf Schnelligkeit an, denn was spontan auftaucht, ist oft schneller wieder fort, als man es sich merken kann. Auf Äußerlichkeiten muss ich dabei verzichten. Hauptsache, ich kann festhalten, was sich da plötzlich in meinem Kopf gezeigt hat.

Es erinnert mich daran, aus einem fahrenden Zug oder Auto einen Zweig oder eine Blume zu greifen. Schnell sein, koordiniert und konzentriert vorgehen – oder es verpassen.

So entstand dieser Haiku, eilig ohne Rücksicht auf vernünftige Handschrift festgehalten:

Lass es, lass los, lass
fließen, was zu fließen hat
sei gelassen, frei

Festhalten: das ist so bedeutungsvoll in unserem Leben. Weil so vieles flüchtig ist. Die Momente, die Gelegenheiten, die vorüberziehen, teilweise an uns vorbeirasen, machen uns schnell wehmütig. Wir wissen nämlich von all den Momenten und Gelegenheiten, die wir nicht festgehalten haben, auf welche Weise auch immer.

Dass das Haiku um genau das Gegenteil geht, nämlich das Loslassen, entbehrt nicht gewisser Ironie. Doch es ist eben das Loslassen, das dem Wunsch, alles festzuhalten, sinnvoll begegnet. Denn trotz aller Bemühungen, Momente festzuhalten und Gelegenheiten zu ergreifen, wird es nie immer gelingen. Das Verlieren durch Vorbeisausen ist ein Teil des Lebens, dem man Akzeptanz begegnen sollte. Zudem nicht jeder Moment den Aufwand wert ist, nicht jede Gelegenheit mündet im Guten, nur weil man sie ergreift.

Die Gabe, loszulassen, wappnet gegen Verlustgefühle und leert den Akku jener Akkumulationsmaschine, die uns ständig antreibt, festzuhalten, auszubauen. Beim Festhalten geht häufiger um das Haben als ums Sein.

Beim Loslassen verhält es sich meist umgekehrt.

In diesem Haiku treffen sich beide. Eilig aus dem Vorbeisausen des Gedankenstroms gepflückt und dem Vergessen entrissen, steht er nun da in der Welt, sichtbar, lesbar. 

Und sagt: wäre er vergangen, wäre es in Ordnung gewesen.

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