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Über meinen Abschied von Twitter oder X

Twitter und ich: Das war anfangs eine erfolgreiche Liebesgeschichte. Als es damals losging herrschte Aufbruchsstimmung. Man wollte Neues entdecken, Menschen kennenlernen, neue Möglichkeiten erkunden. Twitter war zum Start ein toller Ort. Mir brachte er viele Follower und ich glaubte eine Zeitlang, dass es meine Berufung werden könnte, das zu werden, was man heute Influencer nennt.

Das ist lange her. Inzwischen heißt Twitter X und hat einen Besitzer, den man nicht hassen sollte, weil Hass dumpf ist, und man sollte sich selbst sagen, dass man sich für Hass zu schade sei. Aber man kann ihn verachten.

Ein schrecklicher digitaler Ort war Twitter allerdings schon vor ihm. Nur: Er ist schrecklicher geworden. Und auch wenn ich schon seit Jahren meinen Bezug zu dem, was aus Twitter wurde, verloren hatte, hielt ich es lange Zeit für richtig, nicht klein beizugeben.

Ich verglich Twitter mit einem realen Ort in einer Stadt, der nach und nach weiter zur Müllhalde wurde. Lange Zeit meinte ich, es sei besser, dem Ort nicht ganz den Rücken zu kehren, denn wenn man Orte den falschen Menschen überlässt, verliert man diese Orte auf ewig.

Gegangen bin ich letztlich dennoch. Damit habe ich gegen meinen Ansatz verstoßen, Orte nicht freiwillig zu räumen, aber ich musste erkennen, dass es längst zu spät war. Noch immer tummeln sich dort gute Menschen, halten dagegen, zeigen Präsenz, bemühen sich. Letztlich aber diente mir das selbst auch als Ausrede, nicht klein beigeben zu müssen. Mein Beharren war bequemer als der entscheidende Schritt fort von dort.

Nun, da ich keinen Account mehr auf X, wie Twitter nun heißt, besitze, fühle ich mich tatsächlich besser und befreit. Ich ließ mich immer wieder dazu verleiten, dem Hass und Stumpfsinn zu folgen, der dort normaler Alltag geworden ist – und es regte mich auf, diesen Hass und Stumpfsinn zu sehen.

Womit ich wieder beim Hass bin, und warum ich der Ansicht bin, man solle sich für Hass zu schade sein: Hass ist keine Auszeichnung. Hass ist dumm, weil er allen die ominöse Erlaubnis gibt, die guten Sitten fahren zu lassen, die fadenscheinige Ausrede, warum man nun ein anderer Mensch wird, der alles Gute, alles Vernünftige fahren lässt, in der Annahme, Hass sei das einzige Mittel.

Denn ich bleibe dabei: Nein, das ist er nicht. Hass ist nicht die Lösung, Hass ist nie die Lösung. Hass ist das Ende der Zivilisiertheit, und je mehr wir uns selbst an Hass gewöhnen, umso mehr Zivilisiertheit geben wir von uns selbst ab. Wir verlieren sie nicht, sondern geben sie bereitwillig selbst ab, und als Mensch sollten wir uns sagen: Nein, ich lasse mich nicht dazu verleiten, nein, ich behalte meinen Charakter, bleibe zivilisiert.

Twitter aka X ist für mich nun also Geschichte, und siehe da: Abgesehen davon, dass ich mit meinen Posts dort ohnehin nichts und niemand mehr erreichte, weil meine Karawane längst weitergezogen war und ich wie in eine leere Halle hineinrief, findet in meinem Leben weniger Hass statt.
Der Ort in der Stadt, den ich mir stets vorgestellt habe, ist eine Müllhalde geworden, die krank macht. Und trotz all jener, die dort noch immer ernsthaft und vernünftig publizieren, ist dieser Ort genau der heruntergekommene, kaputte Ort, den man in Städten meidet, weil man weiß, dass man dort nichts Gutes mehr findet.

Twitter aka X ist für mich Geschichte und verachte den Eigentümer, verachte die dumpfen, lärmenden Pausenhofschläger, die dieses einstmals so schöne und blühende Stadtviertel für ihre Prügeleien, Streitereien und Auseinandersetzungen nutzen und damit zerstört haben.

Ich habe lange gehadert, und so stolz ich immer darauf war, mich nicht vertreiben lassen zu wollen, bin ich heilfroh darüber, es hinter mir gelassen zu haben.

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