Persönliches

Fotos als reine Information oder: Wozu das alles?

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Kürzlich suchte ich zum Testen eines mobilen Druckers ein Foto auf meinem Smartphone.
Es traf mich wie der Schlag: Ich fand nur mit Mühe eines, das den Ausdruck wert war. Wozu, frage ich mich nun, habe ich all die anderen Fotos gemacht, wenn sie allesamt nicht gut genug waren, gedruckt zu werden?
 Abgesehen von meinen fotografischen Fertigkeiten: Was sind all diese gemachten Fotos, die mein Smartphone bevölkern? Was war ist Sinn? Und haben sie noch immer einen Sinn?

Reine Information, sonst nichts

Die Sache ist klar: All diese Fotos sind keine Fotos an sich, keine bildlich eingefangenen Motive – sie sind reine Information und sonst nichts. Ich habe sie gemacht, um einen Post in sozialen Netzwerken zu bebildern, damit man sehen konnte, worüber ich schrieb. Sie dienen als Bestandteil einer Beitragsgrafik im Blog. Ich hatte sie gemacht, um sie an andere Personen zu schicken – nicht als Foto, sondern als eine reine Information: Das da meine ich. Schau mal. Ich wollte damit erreichen, dass sich andere ein Bild von etwas machen konnten, worüber ich sprach.
Diese Fotos sind fast wie Untertitel zu einer Nachricht.

So hatte ich meine Fotos noch nie gesehen: Ob sie auch als Foto selbst, als Bildkomposition Bestand hätten. Es ist ernüchternd zu wissen, dass dem nicht so ist.
Diese Fotos sind Information, nicht mehr. Kalte, seelenlose, unkünstlerische Information, Bebilderung zu einer Mitteilung. Kontext allenfalls, vielleicht auch Erinnerungsstütze.
Von Motiv kann man nicht sprechen. Was ich da fotografiert habe, sollte Nutzen bringen, etwas zeigen, anstatt etwas darzustellen. Sie hatten und haben selbst keine Aussage. Sie sind reine Anhänge. Rein künstlerisch gesprochen wertloser Informationsmüll. Sie sind da, um einmal gesehen und danach vergessen zu werden.

Ist es das, wofür wir hauptsächlich Fotos machen? Um ein „Guck mal” in die Welt zu schreien in der Hoffnung, jemand blickt darauf, liked es kurz und hebt damit kurzfristig unseren Hormonspiegel an, weil wir damit wissen, dass man uns bemerkt hat?

Warum habe ich sie überhaupt noch?

Ich schaue nun auf all die Fotos und frage mich: Warum habe ich sie überhaupt noch, wenn sie für sich selbst nichts darstellen? Selbst Fotos von Orten und Landschaften sind langweilig, schnell dahingeknipst, wofür? Damit ich sie mir später einmal ansehe? Sie sind langweilig. Sie sind unausgegoren. Sie stellen überhaupt nichts dar, sind reine Funktion: Mich zu erinnern nämlich. Sobald ich auf diese festgehaltene Langeweile, dieses geknipste Unvermögen schaue, muss meine Erinnerung an den Tag, den Moment womöglich, den Rest übernehmen und die Langweiligkeit dieser Fotos ausgleichen. Was ich mir nicht ausdrucken würde, weil es einfach so schlecht ist, schaue ich mir doch auch auf Smartphone oder Tablet nicht mehr an. Oder ist der Anspruch bei digitalen Fotos so dermaßen gesunken?

Eigentlich könnte ich nun auf einen Schlag mehrere hundert Fotos einfach löschen, sie haben ihre Pflicht und Schuldigkeit getan. Sie gaben einer Nachricht Futter, einem Post ein Bild, sie waren Information zu einem bestimmten Punkt, als ich sie machte, um sie mitzuteilen. Niemand wird sich an die Nachricht erinnern, ebensowenig an das Foto. Die Info ist gegeben worden, die Info ist angekommen, die Info ist vergessen worden, danke, nächste – wie das so ist mit Infos. Ihr Nachrichtenwert dauert sogar noch kürzer als die Zeit, in der sie entstehen. Ex und hopp.
Und nun?

Wer damit, und warum mache ich das alles?

Alles löschen, weil eh alles überflüssig ist? Ja, zumindest das Meiste davon. Künftig bessere Fotos machen? Nun, wozu? Wenn die meisten ohnehin nur entstehen, um einer Nachricht als Anhang oder Kontext hinterhergeschludert zu werden, muss man sich nicht abmühen, Wertvolles zu machen – es wird auch gar nicht gelingen. Denn die Anlässe für derlei Fotos sind überhaupt nicht wichtig genug, um sich Mühe zu geben. Man wirft eine Information als Nachricht in den endlosen Strom anderer Informationen als Nachricht. Niemand würde die Mühe zu schätzen wissen, und sind wir ehrlich: Die Nachrichten selbst sind die Mühe nicht wert, weil sie nämlich keinen anderen Sinn haben, als das schon erwähnte „Schau mal“ zu bebildern. Es sind Nachrichten geringer Güte, die nur zeigen, schaut mal, wo ich bin, was ich habe, worüber ich mich freue. Sie sind Information zur Kommunikation, mehr nicht. Fotos sind sie vielleicht technisch, aber inhaltlich nicht. Sie sind die schlechte Serie ohne Sinn und Verstand, die technisch eine Serie ist, aber erzählerisch keinen Pfifferling wert ist.
Womit ich mich nun frage: Warum mache ich das alles? Eigentlich kann ich mir das Meiste davon sparen. Frei nach Rilke: Ich muss mein Leben ändern.

Der offene Bücherschrank als Projekt und Ort

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Den offenen Bücherschrank nutze ich oft, um dort alte Bücher abzugeben.

Eigentlich sind es zwei Bücherschränke in der Nähe. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man den eigenen Büchern damit ein zweites Leben schenken kann – und anderen die Möglichkeit, interessante Bücher zu lesen, die sie sich vielleicht selbst nicht leistet könnten. Für mich haben Bücherschränke deshalb eine soziale Dimension, denn sie sind soziale Projekte und Begegnungsorte mit Mensch und Literatur.

Mich von Büchern zu trennen, fiel mir schon immer schwer. In meiner ersten Wohnung lagerte ich kistenweise in meinem Kellerraum ab. Beim Umzug entschied ich schließlich: Sie müssen fort.

Hätte ich niemals ein Buch abgegeben, hätte ich inzwischen, was ich mir immer erträumt habe: Eine eigene Bibliothek, mit vor Büchern überquellenden Regalen. Natürlich wären viele zweifelhafter Qualität darunter. Viele Romane, die ich mir schon als Schüler als preisreduzierte Mängelexemplare nach Hause schleppte. Doch es wären auch sehr viele interessante Titel darunter, heute manchmal gar wahre Schätze – genau das hat mich oft dazu bewogen, auch Fachliteratur aus dem Studium oder verschwenderische Gesamtausgaben zu verkaufen, zu teils enormen Preisen (die dreibändige Sammlung aller Gedichte von Theodor Fontane der Großen Brandenburger Ausgabe beispielsweise, deren Verkauf mir damals viel einbrachte, mich aber heute noch zur Verzweiflung treibt).

Und doch weinte und weine ich jedem einzelnen Buch noch heute hinterher. Einige habe ich inzwischen sogar antiquarisch wieder angeschafft.

Bücher sind für mich Liebe, eben gerade dann, wenn sie gedruckt sind. Diese Liebe empfinde ich eBooks gegenüber nicht, auch wenn ich sie sowohl kaufe als auch lese.

An den Bücherschränken habe ich einige Male bemerkt, wie sich Menschen auf die Titel stürzten, die ich dort abgelegt habe. Wenigstens das war jedes Mal ein gutes Gefühl. Da ist Interesse, Wertschätzung, sowohl an Thema, als auch an dem Buch als Medium.

Wenn ich sehe, wie sehr die Bücher dort Freude verbreiten, freut mich das besonders. Und so wandern immer wieder Bücher dorthin.

Aber nicht nur die: Ich gebe auch Magazine dort ab, denn auch für sie habe ich eine Schwäche. Thematisch ist es breit, die Magazine sind teils aufwendig und so teuer wie gängige Taschenbücher. Was ich an Text und Gestaltung, Könnerschaft und Herzblut darin sehe, ist beachtlich – sie stehen Büchern meist in nichts nach. Deshalb sollten sie auch so behandelt werden. Vielleicht werden derlei Magazine eines Tages auch als Buch angesehen, verdient haben es viele Publikationen.

Einige von ihnen sammle ich und behalte sie entsprechend. Aber viele auch nicht. Es ist ein breites Spektrum, und ich habe die Hoffnung, dass es Menschen inspiriert, dass sie Titel kennenerlernen, die sie vorher nicht kannten. So ist der Bücherschrank eine stimmlose Empfehlungsplattform.

Auch alte Filme, vorwiegend auf DVD, landen dort und haben den gleichen Effekt.

Jedes Mal also, wenn ich mich schweren Herzens auf den Weg mache, um dort etwas abzugeben, kann ich mir sicher sein, dass es nutzbringend ist. 

Ja, das macht glücklich.

Meine Schreiborte im Wandel

Früher war mein Schreibort festgelegt: Der Schreibtisch.

Schließlich standen dort zunächst meine laute mechanische Schreibmaschine und später mein PC. Wir gut, dass diese Begrenzungen dank Laptop oder Tablet schon längst aufgehoben sind. Und wie schön, dass ich das Schreiben mit der Hand wiederentdeckt habe. 

Samstagmorgen, 9 Uhr. Die Morgensonne scheint auf meinen Balkon. Seit Jahren ist er ein dicht bewachsenes Biotop mitten in der Stadt, eine kleine grüne Lunge jenseits der Balkontür.

Geschrieben habe ich bereits am Frühstückstisch bei einem großen Kaffee, in Stille eines Morgens, an dem alle noch schlafen.

Nun sitze ich in der Sonne, sie scheint morgens und abends auf meinen Balkon, da ist das Licht ohnehin am Schönsten.

Schreiben auf dem Balkon ist aber nicht so einfach bei all der Natur um mich herum, die ich sehen, ansehen, erleben möchte. Es freut mich einfach, hier zu sitzen und mir anzuschauen, was da teils in Dreierreihe wächst und blüht. Mit selbst gestehe ich wenig Platz zu, es reichen ein kleiner Tisch und ein Stuhl inmitten einer grünen Oase.

Ich bilde mir ein, dass die Texte, die ich hier schreibe, anders sind als jene, die ich nicht hier schreibe. Wer weiß.

Dass mir das Schreiben und die Natur und auf meinem Balkon guttun, ist indes unbestreitbar. Ich liebe diesen Schreibort!

Von der Schrulligkeit kostenloser Wochenendzeitungen

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Älterwerden und Altwerden sind glücklicherweise zwei verschiedene Zustände. Dennoch kommt es vor, dass ich mich frage: Werde ich alt? Nicht wegen körperlicher Gebrechen oder Vergesslichkeit, sondern wegen Verhaltensweisen, dir mir, als Älterwerdender, wie die eines Altwerdenden vorkommen.

Eine dieser schrulligen Verhaltensweisen, die sich mir angeheftet haben, ist das interessierte Durchblättern der kostenlosen Wochenendzeitung. Vor ewigen Jahren habe ich sie selbst eine Weile lang ausgetragen. Ich war durch meinen damaligen Wohnort gewandert und hatte fremden Menschen das in ihre Briefkästen gestopft, was im Fachjargon allen Ernstes „Werbeträger“ heißt – also gedrucktes Drumherum, um darin Werbeprospekte zu versenken. Damals war ich erstaunt, dass manche Leute schon in ihren geöffneten Fenstern lagen, weil sie so sehr darauf gewartet hatten. Es gab manche, die sich bei mir beschwerten, dass ich so spät kam. Ein Mensch beschwerte sich sogar bei der Firma über mich. Ich käme erst am Vormittag, dabei vermisste man das Blättchen bereits zum Frühstück. 

Ich fragte mich damals, was diese Menschen nur an diesen kostenlosen Werbeträger-Blättchen finden mochten.

Nun bin ich selbst einer geworden, der sie Woche für Woche durchblättert. Immerhin vermisse ich sie nicht morgens, manchmal ist sie erst Sonntag da statt Samstag, und das ist mir noch immer egal. Aber wenn sie da ist, blättere ich sie aufmerksam durch, lese gar manche Beiträge.

Was ist bloß mit mir los?

Vielleicht einfach gar nichts oder vielleicht eine Menge. 

Früher habe ich diese Druckerzeugnisse respektive Werbeträger mit dem Aufkleber „Keine kostenlose Werbung und kostenlosen Zeitungen“ abgewehrt. Bis die Hausverwaltung entschied, uns allen der schöneren Optik wegen einheitliche Aufkleber zu verpassen – auf denen lediglich „Keine kostenlose Werbung“ stand. Fortan also hatte sich das kostenlose Zeitungswerbeträgerding in meinen Briefkasten und somit in mein Leben geschoben. Nach dem Motto „Wenn sie schon da ist, kann ich auch reinschauen“ muss es irgendwann passiert sein: Gewöhnung setzte ein. Ich mutmaße, das es der gleiche Impuls so vieler Leute sein könnte, abends einfach den Fernseher einzuschalten, um „fernzusehen“ . Und wie stehe ich zu den kostenlosen Wochenendblättchen?

Ich habe mich gefragt, ob sie in den letzten Jahren möglicherweise besser geworden sind – so finde ich zuverlässig Artikel über Orte in der nahen und weiteren Region, die ich anschließend besuchen möchte. 

Auch ist mir das ein und andere Mal eine Veranstaltung in der Stadt begegnet, die ich sonst verpasst hätte.

Mit diesem sonst so geschmähten Medium hat sich also ein praktischer Nutzen verknüpft. Hatte ich früher einfach keinen Sinn dafür, dass ich all das übersehen habe? War ich früher einfach zu jung dafür – als Antithese zur Frage, ob ich nun stattdessen alt werde? Und wenn dem so wäre: Ist das wöchentliche interessierte Blättern in diesen Wochenendzeitungen dann doch nur eine beruhigende Kombination aus positiv besetztem Älterwerden und dem damit verbundenen weiteren Blick auf Welt und Umwelt?

Wer weiß – ich denke, letztlich ist das alles nicht so wichtig. Schließlich mischt sich bei derlei Überlegungen schnell ein Meinungs-Cocktail aus verschiedenen Instant-Zutaten zusammen, die gemeinsam keinen guten Drink ergeben. Es stehen uns nämlich Vorurteile, Werturteile, Meinungen, Ansichten, Befürchtungen ebenso im Weg wie auf der anderen Seite Wünsche, Ziele, Ambitionen. All das zusammengerührt kann man Ego nennen, und das sehen nicht nur die Buddhisten als nicht objektiv, sogar als schädlich kritisch.

Auch dieses Wochenende habe ich mich also dem Printerzeugnis gewidmet und fühlte mich ganz gut damit. 

Womit doch alles gesagt und entschieden ist. 

Mein Beinaheleben in Kamen-Methler

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Ich weiß nicht, wie mein Leben gewesen wäre, hätte ich es ab dem Jahr 1982 oder 83 in Kamen-Methler gelebt. Aber ich dachte erstmals darüber nach, als ich kürzlich auf einer Reise mit dem Zug dort hielt. Fast nämlich wäre es so gekommen. In der Schule dort war ich bereits angemeldet. Angeblich, so sagte mir damals meine Mutter, freuten sich die Jungen der Klasse auf mich, denn es gab dort mehr Mädchen.

Meinem möglichen Leben in Kamen-Methler auf der Spur

Ich finde es nicht eigenartig, 40 Jahre später darüber nachzudenken. In dem Moment nämlich, in dem mein Zug dort hielt, war alles so präsent, dass die Jahrzehnte nur irgendwelche Zahlen waren.
Natürlich ist alles Spekulation eines über 50-Jährigen, der sich einen möglichen Lebensweg seines 11- oder 12-jährigen Ichs vorstellt. Was immer ich mir vorstelle, geht von meinem heutigen Kenntnisstand meines wirklich gelebten Lebens aus. Alles, was im Leben nicht erfreulich verlief, gerät sofort auf die Liste „Was mir erspart worden wäre“. Eigenartig, dass erst später die Liste „Was mir alles entgangen wäre“ wichtig wurde.

Kamen-Methler. Eigenartig, dass wir seit damals immer Kamen-Methler sagen anstatt Kamen. In anderen Städten sagt man auch nicht automatisch den Ortsteil. Ich habe in Osnabrück gewohnt, in Hamm, in Waldbronn, in Karlsruhe. Nie spielte der Ortsteil je eine Rolle. Nie haben wir gesagt, in Osnabrück-Eversburg zu wohnen oder in Hamm-Süden, Waldbronn-Busenbach oder Karlsruhe Südstadt.

Bei Kamen-Methler schon. Vielleicht ist das der Grund der genauen Erinnerung. Die Spezifizierung als Trigger eines Neubeginns, der letztlich zum Beinahe-Neubeginn geworden war.
Wären wir wirklich dorthin gezogen, wäre es mir leichter gefallen als 1985, als wir letztlich nach Hamm zogen. Kamen-Methler war fortan fast vor der Haustür, aber Kamen bin ich nur auf der Autobahn oder im Ikea nahegekommen. Methler habe ich seither niemals wieder betreten.

1982 oder 83 wäre mir der Wechsel zwar nicht willkommen gewesen, aber es wäre in Ordnung gegangen. Ich war noch nicht so gefestigt in Osnabrück, obwohl ich diese Stadt immer so geliebt habe. Ich wäre ein 11- oder 12-jähriger Junge gewesen, der in einen anderen Ort gezogen wäre. Ein Neubeginn wäre nicht einmal ein Neubeginn gewesen, sondern ein Weitermachen unter anderen Vorzeichen. Dass man mich angeblich auf mich freute, hatte es mir einfach gemacht. Es kann gut sein, dass man mir es damals nur gesagt hatte, um mir den Wechsel zu erleichtern. Heute will ich gar nicht wissen, ob dem so war. Wahrscheinlich könnte sich meine Mutter auch gar nicht mehr daran erinnern.

Was wäre aus mir geworden? Schwer zu sagen. Ob ich nach der Realschule dort auch weiter aufs Gymnasium gegangen wäre wie in Wirklichkeit, kann ich nur spekulieren. Schon damals habe ich ständig Geschichten geschrieben, arbeitete an einem Science-Fiction-Roman, dessen handschriftliches Original ich tatsächlich noch besitze. Er blieb unvollendet. Nach einem gewissen Kapitel hatte ich keine Lust mehr, und heute kann ich nicht mehr sagen, wie er hätte weitergehen sollen.

Dass ich mit dem Schreiben in Kamen-Methler aufgehört hätte, kann ich mir nicht vorstellen. Meine Stärke in der Schule ist immer Deutsch gewesen. Das wäre auch dort nicht anders gewesen. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass ich auch dort aufs Gymnasium gegangen wäre, später wie in meinem wirklichen Leben an die Uni. Die Anlagen dessen, was mich heute noch ausmacht, waren damals schon ausgeprägt genug, dass ich sie guten Gewissens prägend nennen kann.
Auch kann ich sagen, was ganz sicher nie passiert wäre: Ich wäre nie in einen Fußballverein gegangen und hätte mich nie für Autos interessiert. Das weiß ich, weil mein Desinteresse daran schon damals ausgesprochen klar war.

Haarscharf am Leben in Kamen-Methler vorbei

Aber hätte ich nicht doch eine Lehre begonnen, weil ich „weg von zu Hause wollte“ oder weil sich eine tolle Gelegenheit bot? Und würde ich noch in der Nähe wohnen?
Mit dem Zug am Gleis stehend, fotografierte ich die Anzeigetafel im Zug, auf der Kamen-Methler stand. Ich fragte meine Mutter später, ob unsere Beinahe-Wohnung in der Nähe eines Gleises lag, doch sie entsprach meiner eigenen Erinnerung: Nein.

Wie kommt es aber, dass Kamen-Methler noch derart präsent sein kann? Weil es so unglaublich knapp gewesen war. Wir hatten bereits eine Wohnung dort. Sie war bereits tapeziert, die Tapete meines Zimmers hatte ich mir selbst ausgesucht. Ich hatte in dem tapezierten Zimmer gestanden und mich gefragt, wo meine Möbel stehen sollten. Das Einzige, was noch gefehlt hatte, war der eigentliche Umzug. Die Trennung meiner Mutter von ihrem damaligen Lebensgefährten kam buchstäblich in letzter Sekunde. Gedanklich hatte ich mich damals bereits ganz auf mein Leben in Kamen-Methler eingestellt.

Überall gibt es Geschichten

Ich bin neugierig, was ich über Methler finden mag, und erlebe einige Überraschungen: Methler hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Darin ist zu lesen: „Die erste urkundliche Erwähnung des Namens Methler geht auf eine Schenkungsurkunde vom 11. April 898 zurück“ – Donnerwetter. Und es geht noch weiter: „Die Bodenfunde in Westick, einem germanischen Handelsplatz mit hohem Anteil römischen Fundmaterials, weisen aber auf weitaus ältere Besiedelung im Bereich Methler hin.“ Im Hammer Museum kann man sich Funde ansehen. 2006 wurde im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft die spanische Mannschaft in Kamen-Methler untergebracht.

Überall gibt es Geschichten, meine eigene hat einen anderen Verlauf genommen. Meine Geschichte ging bis 1985 in Osnabrück weiter. Wen ich kennengelernt hätte, wessen Freund ich geworden wäre – und ob ich vielleicht sogar bis heute mit mindestens einer dieser Menschen befreundet wäre – wer weiß. Eines jedoch ist klar: Meine Geschichte wäre vollkommen anders verlaufen. Ich hätte andere Erfahrungen gemacht und gewisse Erfahrungen, die mich auszeichnen, dafür nicht. Ich wäre eine Version von mir geworden, die mit mir Heutigem nur die Anlagen gemeinsam hätte.

Kamen-Methler war und ist ein bedeutsamer Abzweig in meinem Leben. So vieles wäre anders geworden, als es jetzt ist. Sich damit zu befassen, ist inspirierend. Es erlaubt einen Blick auf Möglichkeiten und mein eigenes Leben.

Es ist erstaunlich: Während meines Zugstopps sah ich so gut wie nichts. Aber der Name an der Anzeigetafel und später auch auf den Schildern am Gleis öffneten eine Tür zu einer Vergangenheit, die 40 oder 41 Jahre zurückliegt. Das ging ganz schnell. Die Tür öffnete sich, und etwas sagte mir „Schau hin.“ Das Nachsinnen über damals, darüber, wie knapp das Ganze war, und welches Leben ich hätte führen können, dauern indes länger.

Was soll dieses Nachdenken über derart ungelegte Eier? Es zeigt die Mechanik des Erinnerns, denn wie schon erwähnt, war zuerst die Liste mit all den Dingen präsent, die mir erspart geblieben wären. Ist das nicht seltsam, und ist das nicht eine Art von Sehnsuchtsort, den sich nur der ersehnt, der mit dem eigenen Leben unzufrieden ist?

Tatsächlich nicht. Auch diese Erkenntnis gehört zum Nachdenken dazu, und ich bin froh, dass es mich zu ihr geführt hat. Als ich 1985 letztlich nach Hamm zog, war es schwer für mich. Mit 14 hatte ich einen festen Freundeskreis und wollte niemals aus Osnabrück weg und ganz sicher nicht jemals nach Hamm ziehen. Aber Hamm war gut zu mir. Natürlich war die erste Zeit dort schwer, aber schnell schlug ich Wurzeln dort – eine große Hilfe: Mein Schreiben. Es machte mich unabhängig, und genau das war es, was ich damals gebraucht habe. Die Freunde stellten sich ein, ich erlebte großartige Zeiten in Hamm, und nein, ich möchte es nicht missen. Tatsächlich habe ich dort Freunde gefunden, die es bis heute geblieben sind. Meine Geschichte ist auch so gut geworden, und auch wenn es Schwierigkeiten, Niederlagen oder Rückschläge gab, bin ich mit meiner Geschichte ganz zufrieden.

Aber über alternative Welt– und Lebensläufe nachzudenken, auch die eigenen, finde ich einfach interessant. Und warum sollte ich damit fertig sein? Wenn ich die damalige Geschichte schon nicht beginnen konnte, kann ich sie mir jetzt einfach ausmalen. Und dafür habe ich viele bunte Stifte.

Warum ich Twitter doch nicht verlasse

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Fast hätte Twitter mich in die Flucht geschlagen. Wieder einmal. Wieder einmal nur fast.
Dabei habe ich kürzlich gepostet: Ich gebe meinen Twitter-Account auf. Ich sei dafür bei Mastodon.
Nach der Ankündigung fühlte ich mich befreit. Twitter ist Last und Problem. Das war schon vor dem Irrsinn von Elon Musk so. Es gibt für mich viele Gründe, Twitter entnervt zu verlassen.

Zu extrem, zu viel und keine Lust und Zeit

Zu viele extreme Menschen sind dort. Zu viel Agitation, Wut und Empörung gegen alles und jeden.
Zu viel Unsinn. Zu viel Überflüssiges. Twitter hat mich seit 2009 gelehrt, Ironie kaum noch zu ertragen, weil es dort für meinen Geschmack Überhand nimmt.

Aber ja: Mir fehlen auch Zeit und Lust. Das für mich Interessante von dem für mich Uninteressanten zu trennen, finde ich auf Dauer anstrengend. Ich möchte nicht ständig präsent sein oder anderen bei ihrem Präsentsein verfolgen.

Ich poste kaum noch Privates, weil ich Privates inzwischen entweder lieber für mich behalte oder auf anderen Kanälen anders mitteile.

Eine Entfremdung

Wir haben uns entfremdet, Twitter und ich. So war es mir genug – wieder einmal. Und wieder einmal kommen mir Zweifel, je näher der Tag rückt.

Warum? Die Motive ändern sich. Zuletzt fühlte ich mich endgültig davon abgestoßen, dass Elon Musk die Reichweite zahlender Kunden gegenüber nichtzahlenden erhöht – und dabei vor allem Rechte bevorzugt hat. Es war das Tröpfchen, das mein Fass zum Überlaufen brachte. Nicht in Wut oder Verzweiflung. Sondern aus Resignation und Protest. Ich wollte in diesem Umfeld nicht mehr sein.

Da bleiben aus Protest

Warum werde ich nun doch nicht gehen? Aus Protest. Nicht, weil ich glaube, ich hätte wundervolle Inhalte. Sondern weil ich mir sonst selbst sagen müsste, vor Rechten, Wahnsinnigen und Pöblern, aber auch den ganzen Dauerempörten aus allen Ecken zu kuschen. Ihnen einfach ihre Spielwiese zu überlassen, wollen sie doch nur. Endlich wären sie unter sich.

Solche Milieus freut es, wenn sie denken, gesiegt zu haben. Sie beglückwünschen und bestärken sich. Dieses Feld haben sie eingenommen, okay, welches reißen wir uns als nächstes unter den Nagel? Die anderen gehen ja einfach. Damit lässt man Brunnenvergifter weiter Brunnen vergiften.

Ich bin daher zum Schluss gekommen: Ich denke nicht daran, das Feld zu räumen. Zumal es eine Menge anderer Menschen gibt, denen ich folge und sie mir, die wie ich darüber klagen können, dass immer mehr Leute aufgeben. Denen ich gerne folge, deren Inhalte mich interessieren. Denn es gab und gibt dort Tolles!

Aufgeben ist keine Option

Aufgeben? Nein, ich denke nicht daran. Ich ziehe lieber meine Ankündigung zurück als mich vertreiben zu lassen. Mehr noch: Ich habe mir nun sogar vorgenommen, Twitter stärker zu nutzen. Meine Themen dort zu erweitern. Schon aus reinem Trotz. Aber auch, um die vergifteten Brunnen mit anderen Inhalten zu verdünnen, die nichts mit dem ganzen Unfug zu tun haben, vor dem ich fast geflohen wäre
Ich werde auch Mastodon entsprechend bespielen. Und man findet mich weiterhin bei Twitter.

Auf geht’s!

Dieses Buch ist eine Aufgabe für mich

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Dieses Buch habe ich mir nicht ausgesucht. Es wurde mir zum Begräbnis meines Vaters geschenkt. Anfangs wusste ich nicht, was ich damit tun sollte. Ein Buch des Friedhofs? Ich hielt das für seltsam, ohne mir richtig klar zu sein, warum eigentlich. Nun ist es also schon ein halbes Jahr da und wartet darauf, einen Sinn zu bekommen.
Nun habe ich ihn gefunden.

Der Tod meines Vaters hat viel in mir ausgelöst – vor allem, weil ich an seinem Bett saß, während er starb. Es war das erste Mal, dass ich einen Menschen sterben sah. Auch das hatte ich nicht gewollt, doch schließlich ist geschehen.
War es schlimm?
Tatsächlich nicht – genau das macht es so denkwürdig.

Seitdem habe ich so Einiges über den Tod im Allgemeinen und sein Sterben im Besonderen geschrieben. Einiges davon wurden Gedichte, Haiku sowie Haiku-artige Texte, die sich nicht an das Silbenschema 5-7-5 halten.

Während ich sie über die letzten Monate schrieb, ist mir dieses Buch gar nicht eingefallen, das bei mir lag und dessen Nutzen mir nicht klar war.
Wegwerfen habe ich nicht übers Herz gebracht – es hat eine Aufgabe, einen Sinn. Ein Buch über den Tod achtlos zu entsorgen, kam und kommt mir nicht richtig vor.

Dann wurde mir klar: Dieses Buch hat nur dann eine Aufgabe, wenn es zum Träger dieser Texte wird.
Also werde ich mich hinsetzen und sie handschriftlich übertragen – nicht alle auf einmal, sondern langsam eines nach dem anderen. Die Langsamkeit hat ihren Sinn in der Aufmerksamkeit, die ich dem Schreiben schenken möchte. Ich möchte nämlich so schön wie möglich schreiben.
Dafür muss ich noch ein wenig üben, denn klar ist: Was einmal darin geschrieben steht, bleibt darin. Jeder Fehler, Patzer und Aussetzer wird Teil dieses Buchs bleiben.

Ich möchte mir also alle Mühe geben.