Ich habe meinen Grabstein aufgestellt. Nicht, dass ich jemals dort begraben läge – aber ich bin altmodisch. In den letzten Tagen meines Lebens mag es auch der Eifer sein, sich ein Denkmal zu setzen. Der Stein trägt meinen Namen und das Datum meiner Geburt. Beim Sterbedatum war ich weniger genau, so ist dort nur die Schätzung zu lesen „in den Tagen nach dem 25.9.2105“, dem Tag der Grabsteinstellung. Sie hat mich so viel Kraft gekostet, dass ich zwischendurch der Meinung war, dies könnte auch mein Sterbedatum werden, auch wenn man mich wahrscheinlich nie gefunden hätte, wenn ich direkt davor gestorben wäre. Die Winde des Mars sind heftig. Dies ist auch der Grund, aus dem der Stein selbst bald verweht sein wird. Aber egal. Ich hab mein Testament auf den Mars gepflanzt, und es wird der Menschheit ein Mysterium sein wie ich selbst und meine Motive, alles hinter mir zu lassen.
Wie gefühlig man doch wird in seinen letzten Tagen, wie sehr die Sehnsucht nach Gedenken und Ewigkeit selbst bei jenen steigen, die sich wie ich von allem entfernt haben, um für sich zu sein. Die Kolonisten waren mir zuwider. Sie strebten so nach Menschlichkeit, dass es mir zeigte, dass sie es ist, die mich vor Menschen flüchten ließ. All diese Worte, all dieses Mühen und Bestreben, immer dieses Wollen, Wünschen, Müssen, so dicht beieinander, dass sie sich verwoben zu einem Brei der Tat, der alles andere erstickte, grässlich.
Dass ich auf einmal fehlte, ist natürlich aufgefallen. Doch hat mich das nicht großartig gekümmert, was sie glaubten, meinten oder unternahmen, um mich zu finden. Ich bezweifle, dass sie die richtigen Schlüsse zogen: Dass ich mich dazu entschloss, ein Eremit zu werden, allein in den Winden des Mars, ausgezogen, um zu leben in aller Einsamkeit, die Menschenleere bietet.
Solchen Menschen ist die Sehnsucht nach Ruhe und Einkehr fremd, geschweige denn nach Einsiedelei – ich liebe dieses Wort und seine Bedeutung – die Suche nach Entfernung von allem Wollen, Willen, Streben: All das ist undenkbar für sie. Sie werden sich fragen, wohin ich wohl wollte und nach all den interessanten Stellen suchen. Dabei bin ich dort, wo es am ödesten ist. Nichts ist hier, was das Auge reizt, nichts, was den Verstand beschäftigt. Hier ist Platz für mich.
Sie werden vermuten, ich sei zum Sterben aufgebrochen, weil mich „die Umstände“ zu sehr belastet hätten. Sie werden sich fragen, was sie falsch gemacht haben, was sie übersahen, was sie nicht bemerkten, und wie ich sie kenne, wird ihr Forscherdrang in meiner Seele rückwirkend Makel oder Anzeichen für ihre Thesen und Ideen finden. Ich verüble es ihnen nicht. Das Wissen über etwas und jemanden ist das Gegenteil von Leere. Es war diese Leere, die die Menschen der Frühzeit und Antike in ihre Mythen trieb. Je schlauer sie wurden, desto mehr fragten sie sich und überlegten und mussten erklären, selbst wenn dabei nur Götter herauskamen.
Die Mythen und Götter unserer Zeit heißen Analyse und Methode – und wie damals sind sie stets davon besessen.
So werden sie vor Rätseln stehen, denn außer, dass ich ruhiger war als sie, habe ich keine Anzeichen meiner Sehnsucht gezeigt, allein zu sein.
Ich weiß, dass sie versuchen werden, mir meinen Selbstmord anzudichten. Was für Idioten! Statt zu sterben zog ich aus, um in Ruhe und Frieden fern von ihnen zu leben!
Natürlich war mir früh klar, dass ich ganz allein auf dem Mars nicht allzu lange leben würde, doch mir ging es nie ums lange Leben. Sondern um die Heimkehr an den Ort, von dem ich stamme – verrückt, dass man dazu erst seinen Planeten verlassen muss, denn streng genommen ist dieser Ort der Heimkehr überall dort, wo Ruhe und Stille ist. Schwierig in diesem Gewimmel der Erde.
Kaum habe ich Stille gefunden, fielen sie wieder ein wie Ungeziefer und raubten mir den Raum, den ich brauchte, um für mich und bei mir zu sein.
Sie überlegten ständig und fragten sich alles, was nicht schnell genug vor ihrer Neugier in die Ferne floh. Nichts blieb Geheimnis, kein Schatten blieb dunkel, kein Stein ungewendet.
Hierher folgen sie mir nicht. Wozu an einen Ort folgen, der so lebenswert wie kein zweiter ist? Viel Platz habe ich nicht. Doch den Raum, den ich brauche, trage ich in mir, seit Wochen schon klappt er aus und weiter aus und weiter aus, es ist kein Ende abzusehen. Der Sonne zuzusehen, wie sie auf- und untergeht, den Sternen in der Nacht beim Funkeln zuzusehen, wie sie kein Mensch der Erde jemals sehen wird, den Wind an meinem Raumanzug zu spüren und irgendwo zu denken, es könne eines Tages klopfen, und da steht dann einer jener Marsianer vor mir, den sich jeder wünscht und niemand ausmalt.
Der Weg von meinem Grabstein zurück in meine Heimstatt ist weit genug, um all die Teams zu blenden, die nicht müde werden, mich zu suchen.
Ich hätte es auch einfach lassen können. Aber ich will ihnen den Triumph nicht gönnen, als erste Menschen auf dem Mars verschwunden zu sein: Das bin ich! Der erste, dessen Schicksal sie sich ausmalen und vergeblich nachzustellen versuchen. Es ist Einzige, was ich ihnen bieten kann: Fragen über Fragen. Und meinen Grabstein. Als Zeichen meiner Missachtung.