Merkbar - Thesen und Texte zu allem Möglichen

Von der Schrulligkeit kostenloser Wochenendzeitungen

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Älterwerden und Altwerden sind glücklicherweise zwei verschiedene Zustände. Dennoch kommt es vor, dass ich mich frage: Werde ich alt? Nicht wegen körperlicher Gebrechen oder Vergesslichkeit, sondern wegen Verhaltensweisen, dir mir, als Älterwerdender, wie die eines Altwerdenden vorkommen.

Eine dieser schrulligen Verhaltensweisen, die sich mir angeheftet haben, ist das interessierte Durchblättern der kostenlosen Wochenendzeitung. Vor ewigen Jahren habe ich sie selbst eine Weile lang ausgetragen. Ich war durch meinen damaligen Wohnort gewandert und hatte fremden Menschen das in ihre Briefkästen gestopft, was im Fachjargon allen Ernstes „Werbeträger“ heißt – also gedrucktes Drumherum, um darin Werbeprospekte zu versenken. Damals war ich erstaunt, dass manche Leute schon in ihren geöffneten Fenstern lagen, weil sie so sehr darauf gewartet hatten. Es gab manche, die sich bei mir beschwerten, dass ich so spät kam. Ein Mensch beschwerte sich sogar bei der Firma über mich. Ich käme erst am Vormittag, dabei vermisste man das Blättchen bereits zum Frühstück. 

Ich fragte mich damals, was diese Menschen nur an diesen kostenlosen Werbeträger-Blättchen finden mochten.

Nun bin ich selbst einer geworden, der sie Woche für Woche durchblättert. Immerhin vermisse ich sie nicht morgens, manchmal ist sie erst Sonntag da statt Samstag, und das ist mir noch immer egal. Aber wenn sie da ist, blättere ich sie aufmerksam durch, lese gar manche Beiträge.

Was ist bloß mit mir los?

Vielleicht einfach gar nichts oder vielleicht eine Menge. 

Früher habe ich diese Druckerzeugnisse respektive Werbeträger mit dem Aufkleber „Keine kostenlose Werbung und kostenlosen Zeitungen“ abgewehrt. Bis die Hausverwaltung entschied, uns allen der schöneren Optik wegen einheitliche Aufkleber zu verpassen – auf denen lediglich „Keine kostenlose Werbung“ stand. Fortan also hatte sich das kostenlose Zeitungswerbeträgerding in meinen Briefkasten und somit in mein Leben geschoben. Nach dem Motto „Wenn sie schon da ist, kann ich auch reinschauen“ muss es irgendwann passiert sein: Gewöhnung setzte ein. Ich mutmaße, das es der gleiche Impuls so vieler Leute sein könnte, abends einfach den Fernseher einzuschalten, um „fernzusehen“ . Und wie stehe ich zu den kostenlosen Wochenendblättchen?

Ich habe mich gefragt, ob sie in den letzten Jahren möglicherweise besser geworden sind – so finde ich zuverlässig Artikel über Orte in der nahen und weiteren Region, die ich anschließend besuchen möchte. 

Auch ist mir das ein und andere Mal eine Veranstaltung in der Stadt begegnet, die ich sonst verpasst hätte.

Mit diesem sonst so geschmähten Medium hat sich also ein praktischer Nutzen verknüpft. Hatte ich früher einfach keinen Sinn dafür, dass ich all das übersehen habe? War ich früher einfach zu jung dafür – als Antithese zur Frage, ob ich nun stattdessen alt werde? Und wenn dem so wäre: Ist das wöchentliche interessierte Blättern in diesen Wochenendzeitungen dann doch nur eine beruhigende Kombination aus positiv besetztem Älterwerden und dem damit verbundenen weiteren Blick auf Welt und Umwelt?

Wer weiß – ich denke, letztlich ist das alles nicht so wichtig. Schließlich mischt sich bei derlei Überlegungen schnell ein Meinungs-Cocktail aus verschiedenen Instant-Zutaten zusammen, die gemeinsam keinen guten Drink ergeben. Es stehen uns nämlich Vorurteile, Werturteile, Meinungen, Ansichten, Befürchtungen ebenso im Weg wie auf der anderen Seite Wünsche, Ziele, Ambitionen. All das zusammengerührt kann man Ego nennen, und das sehen nicht nur die Buddhisten als nicht objektiv, sogar als schädlich kritisch.

Auch dieses Wochenende habe ich mich also dem Printerzeugnis gewidmet und fühlte mich ganz gut damit. 

Womit doch alles gesagt und entschieden ist. 

Warum ich Twitter doch nicht verlasse

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Fast hätte Twitter mich in die Flucht geschlagen. Wieder einmal. Wieder einmal nur fast.
Dabei habe ich kürzlich gepostet: Ich gebe meinen Twitter-Account auf. Ich sei dafür bei Mastodon.
Nach der Ankündigung fühlte ich mich befreit. Twitter ist Last und Problem. Das war schon vor dem Irrsinn von Elon Musk so. Es gibt für mich viele Gründe, Twitter entnervt zu verlassen.

Zu extrem, zu viel und keine Lust und Zeit

Zu viele extreme Menschen sind dort. Zu viel Agitation, Wut und Empörung gegen alles und jeden.
Zu viel Unsinn. Zu viel Überflüssiges. Twitter hat mich seit 2009 gelehrt, Ironie kaum noch zu ertragen, weil es dort für meinen Geschmack Überhand nimmt.

Aber ja: Mir fehlen auch Zeit und Lust. Das für mich Interessante von dem für mich Uninteressanten zu trennen, finde ich auf Dauer anstrengend. Ich möchte nicht ständig präsent sein oder anderen bei ihrem Präsentsein verfolgen.

Ich poste kaum noch Privates, weil ich Privates inzwischen entweder lieber für mich behalte oder auf anderen Kanälen anders mitteile.

Eine Entfremdung

Wir haben uns entfremdet, Twitter und ich. So war es mir genug – wieder einmal. Und wieder einmal kommen mir Zweifel, je näher der Tag rückt.

Warum? Die Motive ändern sich. Zuletzt fühlte ich mich endgültig davon abgestoßen, dass Elon Musk die Reichweite zahlender Kunden gegenüber nichtzahlenden erhöht – und dabei vor allem Rechte bevorzugt hat. Es war das Tröpfchen, das mein Fass zum Überlaufen brachte. Nicht in Wut oder Verzweiflung. Sondern aus Resignation und Protest. Ich wollte in diesem Umfeld nicht mehr sein.

Da bleiben aus Protest

Warum werde ich nun doch nicht gehen? Aus Protest. Nicht, weil ich glaube, ich hätte wundervolle Inhalte. Sondern weil ich mir sonst selbst sagen müsste, vor Rechten, Wahnsinnigen und Pöblern, aber auch den ganzen Dauerempörten aus allen Ecken zu kuschen. Ihnen einfach ihre Spielwiese zu überlassen, wollen sie doch nur. Endlich wären sie unter sich.

Solche Milieus freut es, wenn sie denken, gesiegt zu haben. Sie beglückwünschen und bestärken sich. Dieses Feld haben sie eingenommen, okay, welches reißen wir uns als nächstes unter den Nagel? Die anderen gehen ja einfach. Damit lässt man Brunnenvergifter weiter Brunnen vergiften.

Ich bin daher zum Schluss gekommen: Ich denke nicht daran, das Feld zu räumen. Zumal es eine Menge anderer Menschen gibt, denen ich folge und sie mir, die wie ich darüber klagen können, dass immer mehr Leute aufgeben. Denen ich gerne folge, deren Inhalte mich interessieren. Denn es gab und gibt dort Tolles!

Aufgeben ist keine Option

Aufgeben? Nein, ich denke nicht daran. Ich ziehe lieber meine Ankündigung zurück als mich vertreiben zu lassen. Mehr noch: Ich habe mir nun sogar vorgenommen, Twitter stärker zu nutzen. Meine Themen dort zu erweitern. Schon aus reinem Trotz. Aber auch, um die vergifteten Brunnen mit anderen Inhalten zu verdünnen, die nichts mit dem ganzen Unfug zu tun haben, vor dem ich fast geflohen wäre
Ich werde auch Mastodon entsprechend bespielen. Und man findet mich weiterhin bei Twitter.

Auf geht’s!

Kalender und Zeitnöte

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Kalender zu führen ist ja so einfach. Immerhin hat jedes Smartphone die passende App gleich als Standard installiert. Dem heutigen Menschen ist offenbar in die technische DNS geprägt, als Basisdisziplin des Lebens alle Termine verfügbar und – wohl noch wichtiger – jederzeit eintragen und verschieben zu können.

Mir ist das zu beiläufig. Wie geschnappter Atem werden da Wochen zerhackt und Wochenenden verplant, einfach weil es so einfach eingetragen ist. Es ging nicht um Lust und Vergnügen an der Sache, sondern lediglich um den nächsten freien Termin; und mein Privatleben bestand fortan nicht mehr aus Verabredungen und Vorhaben, sondern nur noch aus Time Slots und Einträgen – und ich sah mich oft mit Dingen konfrontiert, die ich letztlich gar nicht wollte. Weil ich keine Zeit hatte, sie zu bedenken, bevor ich angesichts der Einfachheit des Eintragens meine Lebenszeit verschleuderte. 

Denn was in all den Kalenderapps immer fehlte, war das, was keine App mir geben kann: Die Zeit für mich – es sei denn, ich bin so wahnsinnig, und trage mir die entsprechend auch noch als Termin in einen freien Time Slot ein oder ergebe mich der Peinlichkeit, für die Beurteilung dessen, was wann gut für mich ist, eine App zu benötigen und damit wirklich jeden Rest der menschlichen Freiheit über mich selbst einem Progrämmchen anderer Leute anzuvertrauen.

Andere mögen sich die Frage nicht stellen, ob sie so leben wollen, und bitte sehr, dann eben nicht. Ich jedoch nehme mir diese Freiheit ganz ausdrücklich.

Und das hat Folgen.

Seit Langem schon weigere ich mich, Verabredungen als Termine in freie Time Slots einzutippen. Ich weigere mich, bei jeder Idee sofort das Gerät zu zücken und zu schauen, ob ich da Zeit habe. Stattdessen gewinne ich Zeit, sage nicht sofort zu sondern sage: „Ich muss nachschauen.“ 

Denn zu Hause liegt mein wirklicher Kalender, ein Buch mit Papierseiten, den ich mit Bleistift und Füller führe. 

Auf diese Weise nämlich gewinne ich notwendige Zeit, die ich brauche, um mir eine ganz besondere Frage zu stellen: „Will ich das überhaupt? Ist mir das in dieser Woche eigentlich recht?“ Der zeitliche Aufschub bewahrt mich vor der Leichtfertigkeit, die mich so häufig in Bedrängnis gebracht hat. Die Entschleunigung bringt mir Entscheidungsfreiheit zurück, die ich in der Hochgeschwindigkeit der technischen Machbarkeit und Allverfügbarkeit nicht wie gewünscht habe. Meine Verabredungen haben wieder mehr mit mir zu tun und meiner eigenen Geschwindigkeit. 

Hinzu kommt: Es ist eine Frage der Ästhetik. Auf einem Smartphone in was auch immer herumzutippen, hat nichts Ästhetisches. Im Gegenteil. Seit es die Geräte gibt, sehen wir alle aus wie Affen, die sich lausen. Statt von Haptik ist jetzt nur noch von Usability die Rede – dabei liegt zwischen Fühlbarkeit und Bedienbarkeit ein ganzes Universum. Auch dies ist etwas, das mir verloren ging, und das ich wiederfand. In der Hochgeschwindigkeit des Bedienens und Eben-schnell-mal-Machens fällt das nicht weiter auf und dürfte nicht vermisst werden.

Das ist legitim.

Ich jedoch mache es mir gerne und mit Freude in meinen Entscheidungen gemütlich. 

Vom verfluchten Sommer

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Nun, da endlich Sommer ist und mit Ende Mai tatsächlich noch zu früh, endet das Lamento, das seit April den Alltag prägte, dass nämlich immer noch kein Sommer sei. Die letzten Jahre brachten mit all der Hitze, Dürre, Sturm und Platzregen nur eine Apokalypse, nämlich dass die Welt stets untergeht, wenn gerade heute einmal kein Sommer ist. Das Hoffen, der Klimawandel könne bitte ausbleiben oder wenigstens kleiner ausfallen als befürchtet, hat angesichts des Hoffens aller auf noch mehr Hitze, möglichst schon von März, April an und bitte unterbrechungsfrei, keine Chance.

Da ist es nun Ende Mai und plötzlich 25 Grad warm, und alles jammert über all die vergangenen Tage, an denen es nicht auch schon so warm oder wärmer gewesen ist. Erstaunlich, das Ganze. Einhergehen wird der nun so plötzlich, heftig – und eigentlich immer noch zu früh – hereingebrochene Sommer statt dem Glück über seinen ersehnten Anfang mit zwei ganz anderes Dingen:  Dem Jammern darüber, dass es nicht 40 Grad ist, und dem Jammern bei jedem Tröpfchen, jedem Wölkchen, jedem Lüftchen, das ab abends bald die Hitze aus den Ecken wirbelt. Denn dann werden bei 25 Grad im Schatten fröstelnd Jacken angezogen, was soll denn das, wenn es abends irgendwann so kalt wird, und außerdem war heute auch mal kurz bewölkt, das ist doch kein Sommer sowas.

Nun also ist er da, der Sommer, begleitet von Weh und Ach, um dann im Herbst und Winter wieder zuverlässig betrauert zu werden, weil man von dem Sommer ja gar nichts Schönes hatte, und natürlich nicht genug.

Das war es also mit den Sommern, die man erwartet und ersehnt, genießt und sich an ihnen erfreut. Immerhin warten nun alle auf ihn, um wenigstens seine langen Tage dazu zu nutzen, sich zu beklagen und zu bemitleiden.

Ich vermisse diese Sommer.

Geschichten im Turbo-Boost: Schreibprozess und Berlinale

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Warum es mich seit 2006 fast jedes Jahr zur Berlinale zieht, obwohl ich sie stets zu anstrengend finde? Weil sie für mich eine Inspirationsquelle sondergleichen für mein eigenes Schreiben ist.

Das Erweitern und Aufbrechen des eigenen Mindsets ist mir wichtig, und so kehre ich zwar immer völlig erschöpft, manchmal gar entnervt nach Hause zurück, aber auch vollgetankt mit Ideen und Eindrücken, die ich sonst in dieser Dichte und diesem Reichtum nicht bekommen hätte, und von denen ich anschließend noch lange profitiere.

Denn Stoffe, Motive, neue Erzählweisen und Perspektiven: Mehr Unterschiedliches auf engstem Raum als Inspiration und Schulung des eigenen Schreibens ist kaum möglich als auf einem Filmfestival wie die Berlinale. Vor allem ist es eine ungemein abwechslungsreiche Schule der eigenen Wahrnehmung: Was sieht man, was löst ws aus und wie geht man damit um? Gwrade hinsichtlich des bereits erwähnten eigenen Mindsets bin ich immer sehr dankbar für die zahlreichen Erweiterungen, die ich hier erleben darf:

Hier bekommt man zu sehen, was in den meisten Fällen nirgendwo sonst zu sehen sein wird. Mit über 400 Filmen aus aller Herren Länder in zahlreichen Sektionen, die auch wagemutig und experimentell Stoffe entwickeln und ohne finanziellen Druck ganz besondere Geschichten erzählen, kann man innerhalb einer Woche von Ideen und Herangehensweisen förmlich überrollt werden – aber es lohnt sich. Denn die meisten Produktionen erreichen den regulären Kinobetrieb erst gar nicht.

Für mich sind Filme seit jeher hervorragende Schreibschulen. Schnitt, Motiv, Beleuchtung, all diese Handwerkskünste wecken Assoziationen. Häufig geht es mir gar nicht so sehr um die Story an sich, sondern vielmehr um ihre Montage und das, was Bild und Ton bewirken.

Es kommt vor, dass ich mich frage, wie man die Szene imitiert Worten erzählen könnte, und dabei erlebe ich häufig positive Überraschungen.

Ebenso häufig erlebe ich, dass eine bestimmte Einstellung des Grundstein zu einer eigenen Geschichte legt – die mit der Story des Films nichts zu tun hat, sondern mit dem, was mir plötzlich dabei einfällt: Eine Assoziation, ein Charakter, eine Stimmung, ein Gefühl. Und da die Filme eines Filmfestivals häufig den Mainstream verlassen, ihn variieren oder biegen, bin ich mir sicher, sie sonst nicht und vor allem nicht in dieser Konzentration bekommen hätte.

Die Folge: Ein überreicher Fundus an Szenen und Ideen, die sich im Laufe der Zeit zu Erzählung formen und verdichten müssen. Manchmal entsteht daraus ein eigener Text, manchmal reichern sie andere Texte an, schleichen sich ein.

Kehre ich von der Berlinale heim, bin ich so erledigt wie voll. Aber ich zehre lang davon. Weswegen auch die kommenden Berlinalen mit mir rechnen können.

Datenschutz als Futter für Dystopien

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Kürzlich schrieb ich über meine neue SF-Story Der Gärtner von Eden und Lächeln anlässlich der Lesung „Future Monday“ zum Thema „Wir wissen, was du machst! Datenkraken & Sammelwut“ im Karlsruher KOHI.
Als ich mich erstmals mit dem Thema für eigene Geschichten befasste, machte ich die erstaunliche Entdeckung, dass sich Datenschutz und Datenmissbrauch noch besser für Dystopien eignen als die Angst vor Atomschlägen in Zeiten des Kalten Krieges – das sagte ich auch während meiner Lesung zu dem Publikum.

Zwar stand Der Gärtner von Eden sofort für mich fest, aber die Flut an möglichen Geschichten, die mir möglich und geeignet erschienen, geschrieben zu werden, hat mich dann doch beeindruckt. Gut ein Dutzend Ideen hatte ich nach kürzester Zeit im Kopf, und ich bezweifle, dass dies auf meine Phantasiebegabung zurückzuführen ist. So war auch schnell mein Entschluss klar, als zweite Story zum Thema Lächeln zu schreiben, die als zweite meiner Texte in der Lesung ihre Premiere gefeiert hat.

Stattdessen scheint dies ein reichhaltiges Angstthema zu sein, das sowohl aktuellen Zeitbezug hat, als auch eigene Erfahrung: Denn wir werden schließlich tagtäglich mit Daten und ihrem Umgang konfrontiert – als Anwender, als Kunde, privat und beruflich. Jeder hat etwas dazu zu sagen, weil in unser aller Leben Erfahrungen mit diesen Technologien und den damit verbundenen Organisationen und Systemen stecken. Wir teilen diese Erfahrungen alle.

Fast scheint es, als haben wir uns selbst in Daten verwandelt – was auch das unbestimmte Unbehagen erklären mag, das da unter der gesellschaftlichen Folie vibriert:
Ein Unbehagen davor, dass wir selbst zu nur noch auf Datenebene verwertbare Einheiten verkommen, deren Wert sich an verwendbaren Daten misst, die wir darstellen.

Ein Unbehagen davor, dass wir selbst zu Daten werden und darüber unser Menschsein verlieren. Aber auch ein Unbehagen davor, als Daten ausgebeutet zu werden – was in früheren Gesellschaften ausgebeutete Arbeiter darstellten, werden wir nun als ausgebeutete Datensammlungen. Schön kann das niemand finden.

Vor allem ist da aber das Unbehagen vor der Verletzlichkeit und des Kontrollverlusts: Der Privatsphäre, des Vertrauens, der Eigenständigkeit. Und auch wenn das Private eine ausgesprochen junge Erfindung der Menschheitsgeschichte ist, so ist es doch ein grundlegender Pfeiler.

Es war nicht so, dass ich lange über einzelne Themen nachdachte: Stattdessen drängten sie sich mir auf – und das, obwohl ich selbst Verfechter der Tatsache bin, dass es „gute“ Daten gibt und er Erkenntnisgewinn durch gewonnene Daten durchaus humane, menschliche und ethisch hoch stehende Ziele verfolgen kann.

Aber es stimmt natürlich: Geschichten schreibt man nie über Dinge, die gut laufen, wo bliebe da der Konflikt, die Spannung, ohne die keine Story auskommt?
Und doch hat es mich überrascht, wie viel Themen mir plötzlich im Kopf standen: Gesundheitsdaten, die missbraucht, aber auch fehlinterpretiert werden können, stets gepaart mit der Technologiehörigkeit, die seit Jahren in dem Maße stärker wird, in dem die Massen sich weniger als Mensch, sondern als bloße „Anwender“ begreifen (dieses Thema werde ich beizeiten übrigens in einem eigenen Text aufgreifen).

Ich musste mir die Frage stellen: Steht da wirklich derart Schlimmes vor unserer Tür, oder sind wir mittlerweile Menschen, denen Alarmismus zur Gewohnheit geworden ist?

Auch ohne werten zu wollen ist klar: Da kommt etwas auf uns zu. Etwas, für das es noch kein Beispiel gibt und damit auch kein so sehr beliebtes Best-practise-Beispiel, das uns die Listen zum Abarbeiten zur Verfügung stellt. Etwas, dessen Funktionsweisen im Geheimen von Technologie wirken, die die meisten weder beherrschen, noch in den Grundzügen verstehen – gepaart mit krimineller Energie und wirtschaftlicher Rücksichtslosigkeit kommt beim Nachdenken erstaunlich schnell an den Rand einer Apokalypse.

Ich stehe nun da mit vielen Geschichten im Kopf und staune über die Vielzahl. Und erschrecke, wie real die meisten davon bereits heute sind.

Wer bin ich?

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In Not und höchstem Übel kommt die Frage plötzlich: Wer bin ich? Was bin ich? Wenn die Frage kommt, weiß ich, dass ich vom Weg abgekommen bin. Dann wacht man auf und fragt sich, wie es nur geschehen konnte, dieses Abkommen vom Weg.
Als sei erst das Abkommen und Verlieren der Akt der Erkenntnis seiner selbst und seiner Wünsche. Und man fragt sich, ob man in letzter Zeit außer Besinnung und Kontrolle war und dann, wie und warum das hat geschehen können.
Immerhin: Kommt die Frage nach dem, wer und was man sei, ist damit ein Aufwachen verbunden, ein Erkennen eines Fehlers. 
Zugegeben, das macht keinen Spaß. Plötzlich im Morast zu stehen und in schmatzendem Schlamm nach Hilfe zu rufen, die ohnehin nicht kommt. Die Anstrengung, wieder zurück zum Weg zu kommen, ist eigene Aufgabe.
Es klingt schlecht, und in gewisser Hinsicht ist es das auch, aber hey, sehen wir es so: Solange die Frage und mit ihr das Erwachen kommt, erscheint der Weg auch wieder.
Heutzutage würde man das vielleicht lebenslanges Lernen nennen. Und dazu Kanäle basteln oder sie verfolgen, in denen es Tipps und Tools hagelt, damit umzugehen. Orientierungspunkte, Eckpfeiler, Meilensteine – Milestones nennt man das heute. Listen, die man macht und abarbeitet, weil das Entlanghangeln an Geländern welcher Art auch immer vor Sturz und Absturz bewahrt und beim Weg zurück zum Weg unterstützt.
Es ist gut, diese Stützen zu haben.
Doch letztlich ist es die Frage „Wer bin ich?“, die uns umtreibt und beschäftigt und damit letztlich alles bei uns selbst ablädt. Wo sonst sollte es auch hingehören, die Auseinandersetzung mit sich selbst, ohne auf Fremdbestimmung hereinzufallen?
Wer bin ich: Das bringt Ideen und Vorstellungen in den Geist zurück. Wer dabei stehen bleibt, träumt. Wer nun aber handelt, kommt weiter. Handeln kann übrigens auch aktives Unterlassen oder Loslassen heißen – soweit zu dem, was Tat und Aktion bedeuten. 
Wer bin ich: Das beantworte ich am besten selbst. Und gehe von hier aus auch weiter. Aus eigener Kraft. Und in gewisser Weise auch allein. Somit ist der Weg zurück zum Weg der Weg zu einem selbst, zu diesem untrennbaren Kern. Und hier lauern Überraschungen. Kompromisse und Flausen, die man sich als alleingültige Wahrheit und Möglichkeit des eigenen Lebens antrainiert hat, nur um dann festzustellen, dass man geirrt hart.
Aber so ist das mit Kompromissen, die man immer machen muss und machen sollte. Alles andere wäre rücksichtslos, und von den Ichlingen, die alles für sich verlangen und nichts erkennen wollen außer ihrer eigenen Großartigkeit, von diesen Typen haben wir genug.
Gehört eben auch etwas Charakter und Kenntnis dazu, zu unterscheiden zwischen Charakter und Einbildung.
Das öffnet den Kompromissen ihr Schlachtfeld. Sie treiben in Abhängigkeit, Illusion, in Routinen und Abläufe, heutzutage gern als „Workflow“ geschönt, einer dieser englischen Begriffe, die deshalb so glatt durchgehen, weil sie keinen Trigger im Kopf setzen, weil sie nichts auslösen.
Die neoliberale Welt braucht diese englischen Begriffe. Worte ohne Klang, ohne Bedeutung und ohne Wert – sind sie in der Welt, kann man sie füllen und damit kontrollieren. Damit macht man uns zu Zombies. Wie praktisch, weil wir es nicht merken. Immerhin ist dies der Lauf der Welt und der Dinge, oder?
Aber dann stehen wir irgendwann plötzlich doch da und fragen uns auf einmal: Wer bin ich? Und können, obwohl es so negativ klingt, doch froh darüber sein. Dass wir es gemerkt haben. Und aufgewacht sind.
Fragen wir uns also ruhig: Wer bin ich?

Gegen den Begriff Homo-Ehe

Das Wort macht keinen Spaß: Homo-Ehe. Es zeigt in kürzester Weise, dass nicht alles gleich ist. Denn wenn eine Ehe nun zwischen Hetero- oder Homosexuellen geschlossen wird,  sollte sie einfach „Ehe“ heißen. Begrifflich und inhaltlich unterschiedslos – schließlich tendieren Unterschiede in diesem Zusammenhang zur Wertung. Solange eine Ehe unter Homosexuellen nur mit dem Zusatz „Homo-“ auskommt, ist sie nichts weiter als eine Variation einer Norm, die woanders liegt.

Glücklich sollte man damit also keinesfalls sein; auch nicht, wenn das Karlsruher Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Ungleichbehandlung zwischen Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften verfassungswidrig ist. Und auch nicht, obwohl nun in den USA der Supreme Court sein maßstäbesetzendes Urteil sprach, das gleichgeschlechtliche Ehen in den USA sowohl verfassungsgemäß macht und damit in allen US-Staaten zur Pflicht macht. Auch der Volksentscheid zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Irland sei nicht vergessen.

Erfolge, zweifellos. Und wichtige, maßgebliche Schritte zu mehr Gleichberechtigung ebenso. Doch es bleibt, gerade hierzulande, politisch viel zu tun und aufzuholen.

Vor allem aber kommt es nun auch auf die Beseitigung der letzten Reste an, und die sind auch sprachlicher sowie gedanklicher Natur. Der Konsens, dass Ehen Ehen sind, ganz gleich, ob sie Mann und Frau, Mann und Mann oder Frau und Frau schließen, muss sich in Folge manifestieren. Dazu gehört die Überwindung der mittlerweile zweifelhaften christlichen Ethik, die der deutschen Gesellschaft als maßgeblich immer nur dann untergejubelt wird, wenn Entwicklungen verhindert werden sollen.

Überhaupt ist die punktuelle Auslegung der christlichen Ethik seitens der Politik seit jeher äußerst bizarr:
Waffenlieferungen werden nicht unter dieser Prämisse diskutiert, ebenso wenig die Überschwemmung Afrikas mit billigen Lebensmitteln aus der EU. Auch die Praktiken von Bekleidungsketten, die in Billiglohnländern an Sklavenarbeit grenzende Ausbeutung betreiben, wird seitens der Politik nicht nach den Maßstäben eben jener christlichen Ethik diskutiert, die doch angeblich allgemeiner Konsens der deutschen Gesellschaft sind.

Nicht so beim Thema Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern. Hier sollen – zumindest vordergründig bei CDU/CSU – jene Werte allgemein gültig sein. So kühn wie erstaunlich.

Dass auch die Institution Kirche ihr Scherflein dazu beiträgt, ist so selbstredend wie rückwärtsgerichtet. Überhaupt spielt sich Religion immer wieder als fortschrittsfeindlich auf. Alte Werte, so der Tenor, seien die eigentlichen Stärken der Gesellschaft, die nach religiöser Definition ausschließlich die Religion selbst schützt. Das Verängstigen der Menschen vor Veränderung ist Motor viele religiöser Strömungen, so auch jener christlichen Kirchen, die trotz Trennung von Staat und Kirche noch immer zu großes Gewicht in der Politik haben – ein Umstand, der endgültig beseitig gehört.
Weder Staat noch Gesellschaft sind dazu da, den Kirchen ihr kleingeistiges Weltbild zu retten, in dem es ihnen letztlich nur um eines geht: Ihre eigene Haut, ihr Ansehen, ihre Macht.

Wir brauchen weder Parteien noch die Kirchen, die hinter ihr stehen und ihren Vorteil darin sehen. Vollziehen wir den Wandel aus uns selbst – auch aus unserer Sprache und unserem Empfinden.
Beenden wir die Herrschaft des Begriffs Homo-Ehe und nennen jede Ehe zwischen welchen Geschlechtern auch immer einfach einheitlich Ehe. Und übertragen deren Wert auf alle derart geschlossenen Partnerschaften.
Die Wegstrecke liegt noch vor uns. Die müssen wir noch gehen.

Biedermeier to go

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Krisen sind es, die zu Rückzügen führen. Raus aus der Welt, hinein ins Häusliche, Private, Überschaubare. Dort mag man finden, was abhanden kam: Sicherheit, Schutz, Kontrolle und Vertrauen in sich selbst und das eigene Leben. Und eine Zuflucht aus vorangegangen unsicheren Zeiten.

Biedermeier heißt eine Epoche des 19. Jahrhunderts und bezeichnet eine Abkehr von  der großen weiten Welt zugunsten der Behaglichkeit des Zuhauses mit seinem Schutz und seiner Ruhe.
Doch auch heute stürzt sich der Einzelne bisweilen zurück in sein privates Biedermeier. Nicht selten wird da ein verlängertes Wochenende zu einer privaten Biedermeier-Zeit. Heutzutage hat das Ganze einen anderen Namen: Auszeit.

Dort ist nichts Neues zu finden – und gerade das ist auch ganz gut so.

Dem privaten Biedermeier geht ein Erschöpfungszustand oder ein Schmerz voraus, im Großen nach Finanzkrisen oder Kriegen, im Kleinen nach persönlichen Schrecken, Enttäuschungen, Peinlichkeiten oder einfach nur Überforderung, Erschlöpfung und Müdigkeit. Früher gab es dafür das schlne Wort Überdruss.
Alles ist ein Zustand einer Verletzung und eines Verlustet – die Zeit zum Ausheilen brauchen. Alles, was Wunden risse oder für weitere Unruhe sorgt, muss draußen bleiben. Man verkleinert damit notwendigerweise seinen Einfluss- wie auch Wirkungsbereich, schränkt sich wohlmöglich ein, kappt Kontakte, unterbricht oder beendet Verhältnisse.

Die hereinbrechende Stille ist kein Vakuum. Sondern vielmehr birgt sie eben das, was verloren ging: Vertrauen. Vertrauen in die Welt, in Menschen, in Zustände. Und vor allem Vertrauen in sich selbst und seine eigene Meinung und Ansicht.

Es ist Vertrauen, das verloren gegangen sein muss, um das Biedermeier aufblühen zu lassen. Und wenn es anbricht, wird es als heilsam, gar als schön empfunden. Es ist die Salbe und die Schmerztablette, der Verband und der Gips. Vertrauen wieder zu gewinnen ist nötig, denn ohne dies wäre ein Weitergehen, geschweige denn ein Weiterkommen nicht möglich. Das – übrigens gar nicht biedere – Biedermeier hilft dabei.

Im überschaubaren Raum, in den man sich zurückzieht, weiß man, womit man es zu tun hat. Nichts Unerwartetes oder Unvorhergesehenes erwartet einen, nichts droht, nichts schwelt, nichts kommt auf einen zu. Ein Gefühl wattierter Sicherheit, tröstend in seiner Wärme und Weichheit. Das Kappen der Sorgen, die man als öffentliche Person mit sich herumtragen mag, verschwinden langsam, und ihr Fehlen bietet mit der Zeit Erholung von dem, was zum Grund des Rückzugs wurde. Eines Tages mag der Schmerz oder Erschöpfung oder Überruss, die man erfahren hat, von selbst abklingen.

Vertrauen kann in Sekundenschnelle schwinden, der Aufbau erfolgt in kleinen Schritten. Man muss Geduld haben. Bis der Blick sich wieder hebt, bis die Gedanken nicht mehr bleischwer den Verstand vergiften, bis einfach der Schmerz nachlässt.

Gründe für Rückzüge gibt es viele. Von Überarbeitung über Stress bis zu Enttäuschung, Verlust, Demütigung oder Zweifel reichen sie, die eines gemeinsam haben: Es gab ein Zuviel von ihnen.

Dieses Zuviel überlastet die Schaltkreise der Maschine Mensch, deren Verstand eines Tages einfach blockiert oder deren Emotionen verrückt spielen, schlimmstenfalls eine Kombination beider Zustände. Am Zuviel zerbrechen sie und sehen nur noch in der Betulichkeit ihrer eigenen vier Wände Rettung. Rückzug ist immer eine Form der Depression. Bestenfalls eine relativ harmlose. Schlimmstenfalls nicht.

Rückzug ist nicht gleichbedeutend mit Rückschritt. Und er ist auch nicht für die Ewigkeit gedacht. Auch als Epoche war das Biedermeier eine Übergangszeit, eine Reaktion auf Zeiten, die eine Restauration nötig machten. Somit geschah kulturgeschichtlich im Großen, was menschlich im Kleinen geschieht: Eine Renovierungsphase, eine Erneuerung.

Heutzutage ist das private Biedermeier nicht selten. Immer wieder wird man aus der Bahn geworfen, findet man auf die Bahn zurück. Freunde warten oder flüchten und fluchen, sehen Egoismus, mögen sich im Stich gelassen fühlen und mögen sich in ihr eigenes, individuelles Biedermeier zurückziehen. Jedenfalls abwenden vom Schlachtfeld. Doch nötig ist die Zeit dennoch, in der man dem erlittenen Schmerz oder Schock beim Abklingen nachspürt, bis man, eines Tages, das Fehlen des nachgelassenen Schmerzes nicht registriert.

Und das Biedermeier beendet.

Die Deutschen sind anders als ihre Filme

Die Deutschen sind anders als die Filme, die sie drehen. Diese werden gedreht von Menschen, die nichts zu erzählen haben und produziert von Menschen, die ihr Geld schon im Sack haben. Die Filmforderung macht’s möglich. Da gibt es nichts zu befürchten in dieser Sphäre, da gibt es keine Misserfolge oder Flops. Diese Filme sind billig und müssen kein Publikum finden, das dafür bezahlt. Sie dienen den Eingeladenen auf Premieren und Festen als Treffpunkt fürs Netzwerken. Keep Reading