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Thesen und Texte zu allem Möglichen.

Jurassic World und das digitale Kino

Als vor 22 Jahren die Dinosaurier erstmals realistisch auf der Kinoleinwand zu sehen waren, sprach jeder von Steven Spielbergs Meisterwerk Jurassic Park. Heute sieht zwar scheinbar jeder Jurassic World, mit dem die Reihe nun nach vielen Jahren recht solide weitererzählt wird – doch ich vermisse etwas.

Ja, wir staunten alle mit offenen Mündern im Kino, damals 1993. Da war von Spielbergs neuem Film schon weit im Vorfeld die Rede, weil man von einer digitalen Innovation sprach, die Effekte erschaffen sollten, wie man sie bis dato noch nicht gesehen hatte. Schon zwei Jahre zuvor hatten wir mit Terminator 2 eine Trickeffekt-Fahrt gesehen, die gar kühnste Vorstellungskraft sprengte – wenn nun ausgerechnet Spielberg einen nie gekannten Realismus von Effekten ankündigte, konnte man gespannt sein. Und das waren wir. Auch, weil die Romanvorlage seit Jahren ein Bestseller war und die Frage kursierte: „Wie wollen die das denn bloß verfilmen?“ Trotz aller Hoffnungen, Spielberg werde es schon hinbekommen, gab es da auch die Zweifel in das, was Kino und Effekte abbilden können, zumindest glaubhaft.

Als wir dann im Kino saßen, war das unbeschreiblich. Wir sahen, was wir noch nie zuvor gesehen hatten. Wir sahen auch, was wir uns nie zuvor vorstellen konnten, jemals zu sehen – eine Überwältigung, die ihre Spuren in der Kinogeschichte hinterlassen hat.

Als Technik die Erzählung sprengte

In den 90er-Jahren war das noch aufregend: Da sahen wir plötzlich ganz neue Dinge – und damit auch neue Erzählungen. Geschichten emanzipierten sich dank neuer Tricktechnik, die alles zeigen konnte, aus dem Korsett des Darstellbaren. Nun konnte man Geschichten erzählen, die man vorher nie hatte erzählen können. Denken wir an Twister, Independance Day, Titanic, und nicht zu vergessen Anfang des Jahrtausends die Herr-der-Ringe-Trilogie. Die Technik vollbrachte mit dem Wunder neuer Bilder auch das Wunder neuer Erzählungen. Das war großartig.

Die digitale Ermüdung heute

Inzwischen ist all das abgenutzt. Es gibt einfach nichts mehr, was wir nicht schon gesehen haben, digitale Tricktechnik macht’s möglich.

Wie viel Rechnerleistung in Spider-Man-Filmen steckt oder im Hobbit, ist nur noch eine technische Angabe, die keinerlei Anteil mehr an neuen Geschichten trägt. Vielmehr gehen in erstaunlich vielen Filmen erstaunlich viele Städte unter, möglichst viele Trümmer und immer noch mehr Trümmer. Transformers 3, Transformers 4, Avengers 2, Man of Steel: Hier müssen es gleich ganze Städte sein, die untergehen. Abgesehen davon, dass es zwar grafisch hochaufgelöst ist, haben diese unzähligen, überteuren Effektorgien noch immer eben die Künstlichkeit, die Distanz bringen zwischen dem Zuschauer und der Erzählung. Wir wissen nicht nur, dass von all dem kaum etwas echt ist – wir sehen es auch immer noch.

In Katastrophenfilmen der 70er-Jahre gab es Story und Dramaturgie. Der Terror einer Katastrophe war spürbar.

Und heute? Da fliegen und krachen die Pixel. Hochaufgelöst, quietschbunt. Wie bereits in dem Film davor. Und dem davor. Und dem davor. Neues bietet sich uns nichts mehr, nicht einmal mehr eine technische Innovation. Im Gegenteil: Ich werde das Gefühl nicht los, dass mit der Einführung von 3D 2009 nun alles verschossen wurde.

Es ermüdet nunmehr, dass es keine neuen maßgeblichen Bildtechniken und auch Erzählformen mehr entstehen, sondern wir in einer Endloschleife des Ewiggleichen und Schonlängstgesehenen gefangen sind.

Alles digital, schon hundertmal gesehen

Die unsägliche Trümmerflut der überzüchteten Hollywood-Blockbuster-Maschine ist nur noch langweilig und meist narrativ dumm. Nicht einmal mehr noch größer können die Schlachten und Final-Spektakel mehr sein. Transformers 3 gipfelte schon vor Jahren in einer über 45-minüten Trümmerorgie, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat. Zack Snyders augeblasener Man of Steel ließ die übertriebenste Finalschlacht aller Zeiten auf uns Zuschauer los. Der 3. Teil der Hobbit-Trilogie artete in grobmotorisches, grauenhaft schlecht erzähltes Getümmel ohne Story, Spannung, Sinn und Seele aus – und selbst die so gelungenen Avengers gaben uns im 2. Teil nicht viel mehr als schon tausendfach abgenudeltes, ausgeleiertes, kurz: Höchst langweiliges, uninspiriertes Gekloppe.

Das Staunen und das Ansehen

Das bringt mich zurück zu Jurassic World.

Ich sitze da, ich war 1993 von Jurassic Park überwältigt wie alle. Ja, wir hatten so etwas noch nicht gesehen.

Bei Jurassic World ist das nicht so. Wir werden ganz sicher alles schon einmal irgendwie irgendwo schon mal gesehen haben. Und richtig: Wo Jurassic Park 1993 Überwältungskino de luxe war, ist Jurassic World 2015 nichts weiter als einfache Unterhaltung.

Jurassic Park brachte uns 1993 das Staunen.

Jurassic World bringt uns 2015 einfach nur bessere digitale Dinos als damals.

Jurassic Park startete vor 22 Jahren in einer Zeit, da die Filme in den USA im Sommer anliefen und im Rest der Welt im Herbst. Filme hatten Wochen, teilweise gar Monate Zeit, einen Hype zu entwickeln, der dann nach und nach mit Verzögerung die anderen Länder erreichte.

Von Jurassic Park las ich im Sommer 1993 in der Tageszeitung die Headline „Die Dinos brechen alle Rekorde“. Da wusste man, Spielberg hat es geschafft. Und wir würden wirklich etwas zu sehen bekommen, das man so noch nicht gesehen hatte.

Heute starten die Filme weltweit nahezu zeitgleich. So kam Jurassic World ganz anders als sein großes Vorbild einfach in die Kinos. Was einst ein Werk war, ist heute Produkt, das zur Vermeidung der illegalen Raubkopien im Netz möglichst breit startet, damit die Einnahmen maximiert werden können.

Der vermisste Moment

Nun saß ich in Jurassic World und er gefiel mir. Aber wenn ich ehrlich bin, liegt das auch zum großen Teil daran, dass er die Geschichte von vor 22 Jahren geschickt aufgreift, weitererzählt und damit in seine eigene Erzählung integriert. Da man mich in Jurassic World immer wieder an Jurassic Park erinnert, erinnere ich mich auch an die Wirkung des Originals vor 22 Jahren – die letztlich auf den neuen Film abfärbt.

Natürlich ist das richtig, notwendig, vernünftig und überdies geschickt gemacht. Aber wären die Dinos heute genauso erfolgreich wie ohne das Original?

Spielbergs Film ist Legende. Alles danach profitiert von ihr.

1992 saß ich im Kino die Auflösung der Grenze zwischen Realität und Spezialeffekt. Heute im hochauflösenden Zeitalter sind neben den Gewöhnungseffekten die Tricks oft nicht überzeugend genug, um nicht künstlich zu wirken.

Deshalb: Ja, ich vermisse etwas. Das Besondere. Das Einzigartige. Den Kinomoment, der prägt und den ich mitnehme. Bilder, die ich nie vergesse, wie ich auch ihre Wirkung auf mich nie vergesse.

Man kann es auch Magie nennen. Das ist den meisten Filmschaffenden in der Blockbuster-Industrie (die sich übrigens markant von der übrigen Filmindustrie unterscheidet) inzwischen ein Fremdwort. Ob nun unfähige Regisseure, schlechte Drehbücher, omnipotente Produzenten, gegen die sich Kreative nicht durchsetzen können: Sie arbeiten nur noch selten an Geschichten, die Tricktechnik erfordert – Cameron ist so einer – sondern an Produkten und im schlimmsten Fall an Franchises.

Nein. Das macht mir keinen Spaß.

Gegen den Begriff Homo-Ehe

Das Wort macht keinen Spaß: Homo-Ehe. Es zeigt in kürzester Weise, dass nicht alles gleich ist. Denn wenn eine Ehe nun zwischen Hetero- oder Homosexuellen geschlossen wird,  sollte sie einfach „Ehe“ heißen. Begrifflich und inhaltlich unterschiedslos – schließlich tendieren Unterschiede in diesem Zusammenhang zur Wertung. Solange eine Ehe unter Homosexuellen nur mit dem Zusatz „Homo-“ auskommt, ist sie nichts weiter als eine Variation einer Norm, die woanders liegt.

Glücklich sollte man damit also keinesfalls sein; auch nicht, wenn das Karlsruher Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Ungleichbehandlung zwischen Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften verfassungswidrig ist. Und auch nicht, obwohl nun in den USA der Supreme Court sein maßstäbesetzendes Urteil sprach, das gleichgeschlechtliche Ehen in den USA sowohl verfassungsgemäß macht und damit in allen US-Staaten zur Pflicht macht. Auch der Volksentscheid zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Irland sei nicht vergessen.

Erfolge, zweifellos. Und wichtige, maßgebliche Schritte zu mehr Gleichberechtigung ebenso. Doch es bleibt, gerade hierzulande, politisch viel zu tun und aufzuholen.

Vor allem aber kommt es nun auch auf die Beseitigung der letzten Reste an, und die sind auch sprachlicher sowie gedanklicher Natur. Der Konsens, dass Ehen Ehen sind, ganz gleich, ob sie Mann und Frau, Mann und Mann oder Frau und Frau schließen, muss sich in Folge manifestieren. Dazu gehört die Überwindung der mittlerweile zweifelhaften christlichen Ethik, die der deutschen Gesellschaft als maßgeblich immer nur dann untergejubelt wird, wenn Entwicklungen verhindert werden sollen.

Überhaupt ist die punktuelle Auslegung der christlichen Ethik seitens der Politik seit jeher äußerst bizarr:
Waffenlieferungen werden nicht unter dieser Prämisse diskutiert, ebenso wenig die Überschwemmung Afrikas mit billigen Lebensmitteln aus der EU. Auch die Praktiken von Bekleidungsketten, die in Billiglohnländern an Sklavenarbeit grenzende Ausbeutung betreiben, wird seitens der Politik nicht nach den Maßstäben eben jener christlichen Ethik diskutiert, die doch angeblich allgemeiner Konsens der deutschen Gesellschaft sind.

Nicht so beim Thema Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern. Hier sollen – zumindest vordergründig bei CDU/CSU – jene Werte allgemein gültig sein. So kühn wie erstaunlich.

Dass auch die Institution Kirche ihr Scherflein dazu beiträgt, ist so selbstredend wie rückwärtsgerichtet. Überhaupt spielt sich Religion immer wieder als fortschrittsfeindlich auf. Alte Werte, so der Tenor, seien die eigentlichen Stärken der Gesellschaft, die nach religiöser Definition ausschließlich die Religion selbst schützt. Das Verängstigen der Menschen vor Veränderung ist Motor viele religiöser Strömungen, so auch jener christlichen Kirchen, die trotz Trennung von Staat und Kirche noch immer zu großes Gewicht in der Politik haben – ein Umstand, der endgültig beseitig gehört.
Weder Staat noch Gesellschaft sind dazu da, den Kirchen ihr kleingeistiges Weltbild zu retten, in dem es ihnen letztlich nur um eines geht: Ihre eigene Haut, ihr Ansehen, ihre Macht.

Wir brauchen weder Parteien noch die Kirchen, die hinter ihr stehen und ihren Vorteil darin sehen. Vollziehen wir den Wandel aus uns selbst – auch aus unserer Sprache und unserem Empfinden.
Beenden wir die Herrschaft des Begriffs Homo-Ehe und nennen jede Ehe zwischen welchen Geschlechtern auch immer einfach einheitlich Ehe. Und übertragen deren Wert auf alle derart geschlossenen Partnerschaften.
Die Wegstrecke liegt noch vor uns. Die müssen wir noch gehen.

Goodbye Handschrift

Es ist nie zu spät, um sich über seine Handschrift zu sorgen. Oder gleich ihren Verlust zu betrauern. Was nach Jahren Schule, Uni und Beruf von meiner Handschrift übrig blieb, ist meist beklagenswert. Das „schnelle Mitschreiben“, oft mit Kugelschreibern, machte sie zu dem, was sie heute ist: Ein Rudiment aus unleserlichem Gekritzel, das jeden Graphologen meine psychiatrische Einweisung empfehlen lassen würde. Vor allem ist sie hässlich. Schade eigentlich. Und nun?
Gäbe es noch Schulnoten für Schönschrift wie in der Grundschule, so hätte ich ein Problem: Als Klassenletzter wäre ich bedauernswertes Schlusslicht mit satter 6. Dabei war das früher anders. Und schreibe ich mit Füller und gebe mir noch Mühe, kommt ein schwacher Abglanz dessen heraus, was ich vor vielen Jahren mal zustande brachte.

Da ist es kein Trost, ähnliche Geschichten von anderen zu hören. Oder über deren Handschrift zu stolpern und mich nicht entscheiden zu können, ob ich sie bemitleiden oder froh darüber sein soll, dass ich mit meiner ins Schreckliche mutierten Handschrift nicht allein bin – doch trotz des halben, da geteilten Leids bleibt es bei meinem eigenen Verlust. Das wiegt insofern schwerer, als dass nur ich dafür verantwortlich bin, sowohl für die Fahrlässigkeit an sich, die meine Handschrift aus jeder Form geraten ließ, als auch für die fehlende Disziplin, das Ruder rumzureißen.

Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass berufliche Mitschriebe beispielsweise am Telefon oder in Meetings keine Zeit für ästhetische Übungen lassen. Doch dass ich dies als Ausnahme einer Regel festige, über die ich selbst bestimmen könnte, ist mein eigenes Problem. Denn ich stelle fest, dass nicht nur Eiligkeit beim Mitschreiben mich zur hässlichen Schrift zwingt, sondern auch einfache Unachtsamkeit: Notizen für mich persönlich bräuchten die hohe Geschwindigkeit nicht, und doch gehe ich sie immer an, als müsste ich sie schleunigst hinter mich bringen. Heraus kommt etwas, das selbst ich als Urheber Tage später nur mit Mühen entziffern kann.

So wenig also gehört meine Handschrift zu mir – streng genommen dürfte ich gar nicht „meine Handschrift“ sagen. Vielmehr scheint sie Produkt von etwas anderem zu sein. Die Striche und Zacken in der Schrift folgen keiner Regel, beim Schreiben nehme ich wahr, wie sehr mir die Konturen entgleiten, als hätten sie ein Eigenleben.
Ich stellte fest, dass die Notizen, die ich mir mache, „raus“ aufs Papier müssen, zu welchem Preis auch immer. Mich leitet das Bedürfnis, schnell Dinge zu Papier zu bringen. So als würde ich sie in zehn Sekunden vergessen haben..
Das bringt mich zu der Frage, ob ich verlernt habe, bewusst beim Schreiben zu bleiben, oder ob ich wie ferngesteuert einem Impuls erliege, alles möglichst schnell aufs Papier zu bekommen. Kann man Handschrift als reine Funktion sehen wie beispielsweise das Tippen auf der Tastatur? Das sicher schneller geht und sich nicht um Form und Ästhetik schert?

Doch Handschrift – da drängt sich etwas hinein. Persönliche Note oder ihr Fehlen. Ein Zwang zu etwas oder ein Fehlen von Zwang.
Ich weiß es nicht.
Hin und wieder übe ich das Schreiben – gar nicht einmal das Schönschreiben, sondern einfach nur das banale Deutlichschreiben. Selbst das ist fast unmöglich. Ein Verlust, ohne Frage. Und die Sorge, tatsächlich etwas verlernt oder gar verloren zu haben: Eine Fertigkeit, oder gar ein Bewusstsein? Das eine wäre traurig, das andere tragisch.
So oder so: Ich muss wohl sagen Goodbye, Handschrift.

Live long and prosper, Mr. Spock: Wenn Legenden sterben

An manchen Tagen gehen Legenden von uns. Legenden deshalb, weil sie für etwas stehen. Legenden aber auch, weil sie so lange unter uns waren. Durch die Vielzahl der Jahre sind sie ganze Menschenalter einfach da. Tauchen immer wieder auf, gealtert, gereift, aber sicher anwesend.

Leonard Nimoy alias Mr. Spock war so eine Legende. Er stellte in der TV-Serie Star Trek (auf Deutsch Raumschiff Enterprise) und 8 Kinofilmen den Vulkanier dar, der mit seinem Hang zur Logik, seiner hochgezogenen Augenbraue sowie dem legendären „Faszinierend“ Generationen begleitete. Mit 83 Jahren ist er nun verstorben – beinahe 50 Jahre davon war er eine der bekanntestes Rollen der TV-Geschichte und gleichzeitig eine kulturelle Ikone; das muss man anerkennen.

Fast 50 Jahre, das ist mehr, als die meisten derer an Lebensalter aufbringen, die nun am meisten um ihn trauern. Diese Jahre machten ihn zu einem Anker. Als er als Mr. Spock im Star-Trek-Reboot 2009 nach fast 20 Jahren in seiner bekanntesten Rolle wieder in einem Kinofilm auftauchte, stand die Fan-Welt Kopf. Er, der alte, große Geist einer Serie, die weit mehr wurde und mehr ist als reine Fernseh- und Kinounterhaltung, war noch da, gab sich die Ehre, kehrte zurück – und adelte damit den Neubeginn. Ohne ihn wäre er weniger gültig, weniger wert gewesen.

Fragt man, wer Mr. Spock nicht kennt, noch nie sah, noch nie gehört hat, dürfte es niemand geben, der ahnungslos ist. Wer ihn nicht kennt, gibt mehr Aufschluss über sich.

Natürlich musste es eines Tages sein. Dass er Bordarzt Dr. „Pille“ McCoy und Ingenieur James „Scotty“ Doohan irgendwann folgen muss, war immer klar.

Doch sterben Legenden, sagt dies uns auch: Jedem Zauber wohnt das Ende inne. Und damit auch in uns selbst. In Momenten wie diesen spüren wir es, wissen wir es. Diese Erkenntnis kommt mit der Todes-Nachricht huckepack. Legenden sind mehr als Erinnerungen. Sie sind Träger eigener Werte. Sie repräsentieren immer Teile eines jeden, der sie als Legenden anerkennt. Das macht ihr Ableben so berührend. Es stirbt ein treuer Begleiter zum einen und ein gewisser Teil von einem selbst zum anderen.

Leonard Nimoy war nicht nur Mr. Spock. Als Regisseur inszenierte er nicht nur Teil 3 und 4 der Star-Trek-Kinoreihe, sondern auch Komödien wie 3 Männer und ein Baby. Ihm verdanken wir die Storys zu zweien der besten und beliebtesten Star-Trek-Filmen: Star Trek IV – Zurück in die Gegenwart und Star Trek VI – Das unentdeckte Land. Als Buchautor wehrte er sich zunächst mit Ich bin nicht Spock gegen seine Rolle, die ihn zeitlebens repräsentierte, später sah er in einem weiteren Buch ein: Ich bin Spock.

Wie wahr: Seine verhältnismäßig seltenen Auftritte außerhalb des Star-Trek-Universums blieben weithin ungesehen: Zu sehr war er mit seiner Figur Mr. Spock verschmolzen. Ein Fluch?
 Eher eine perfekte Symbiose mit einem fiktiven Charakter, der wie kein zweiter die Menschen beschäftigt hat: Mit der Frage, was es heißt, Mensch zu sein und damit mit der Frage nach sich selbst. Mr. Spock war in gewisser Hinsicht ein Außenseiter, weil er mit seinem weltbekannten Hang zur Logik nicht einfach das Gegenteil des Menschlichen repräsentierte – sondern auch den Wunsch, dem Menschlich-Emotionalen überlegen zu sein. Der Diskurs, ob reine Logik und das Überwinden von Gefühlen wie es den Vulkaniern auch das Überwinden von menschlichen Ansichten und Werten bedeutete, wurde jahrzehntelang geführt und wird es noch über seinen Tod hinaus.

Als 1982 die Figur des Mr. Spock in Star Trek II – Der Zorn des Khan am Ende starb, war dies nicht nur ein emotionaler Schock für die Fans, sondern auch der fiktiven Crew des Raumschiffs Enterprise. Eine Enterprise ohne Mr. Spock? Undenkbar. Aus dieser enormen Wichtigkeit bezog der Film denn auch seine Wucht.

Dass der dritte Kinofilm Auf der Suche nach Mr. Spock hieß und diesen letztlich wieder zurückbrachte, war eine Erlösung. Leonard Nimoy war Mr. Spock – und das war gut so, ist gut so und wird immer gut bleiben.

Deshalb wird er, so oder so, weiter leben. Live long and prosper, Leonard Nimoy.

… und es werde Licht: Licht in Science-Fiction-Filmen

„Licht ins Dunkel bringen“ ist in der Science Fiction mehr als nur ein Sprichwort. Ein kurzer Abriss durch die Filmgeschichte zeigt durchaus, wie ernst es dem Genre mit dem Sprichwort ist.

Bereits der Mond als Himmelskörper faszinierte die Menschen. Hell am Nachthimmel sichtbar, stellte er viele vor Fragen, die zunächst gar nicht, und im Laufe der Jahrtausende nur mit hohem Aufwand beantwortet werden konnten.

„Das Licht“ am Himmel. Neben der Sonne und den Sternen eben auch das weiße Riesending am nächtlichen Firmament.

Die Mythologien der Frühgeschichte und Antike luden Sonne und Mond entsprechend auf. Dem Licht am Himmel musste Name, Sinn und Funktion in der Welt gegeben werden.

Im Laufe der Zeit wurde der Mond erklärbar, sprich: Deutbar.

Doch die Faszination am Licht als solches blieb bestehen, ebenso seine Aufladung mit Wissen, Weisheit, Überlegenheit. Kein Wunder: Licht in seiner ureigenen Form bringt tatsächlich Licht ins Dunkel: Wer Licht besitzt, verdrängt die Finsternis. Schon früh wurden Licht und Dunkelheit Synonym nicht nur für Weisheit und Unkenntnis, sondern auch für Gut und Böse. Wer „das Licht der Erkenntnis“ besitzt, ist Bezwinger des Bösen. Daraus resultierte eine dem Licht mythologisch immanente Deutung: Nur der Wissende gebietet über das Licht. Wer in den Anfängen der Menschheit über das Feuer gebot, war Magier, Zauberer, Gott – nicht umsonst schleuderten Götter Blitze, wurden Mond und Sonne als sichtbare, aber unerreichbare Fakten in der sichtbaren Welt zu göttlichen Wesen.

Doch speziell diese Deutung blieb nicht lange schlüssig, schließlich bemächtigt sich auch das Böse dem Licht, wie die Erfahrung lehrte. Licht als Wissen ist also nicht an die Trennung von Gut und Böse gekoppelt, da Gut und Böse gleichwohl über Wissen verfügen können. Nur die Intention der Anwendung ist eine andere: Wo das eine Licht für Weisheit steht, steht das andere für Macht und ihren Missbrauch.

Die Phantastik, die sich noch heute der archaischen Denkmuster bedient, da sie gesellschaftlicher Konsens sind, hatte schon früh die Dialektik dieses Themas erkannt und wurde somit „hellsichtig“. Licht blieb als Symbol für Erkenntnis und Wissen zwar bestehen – doch es differenzierte sich: Die Guten „hatten“ das Licht, sie „waren hell“, lebten im Hellen, lebten im Oben wie dem Olymp. Wer „im Hellen“ wohnt, ist nicht nur gut und wissend, sondern auch weise.

Die Bösen lebten im Unten, im Dunkeln. Sie besaßen die Helligkeit nicht von sich aus, sie mussten sie sich erarbeiten, sie mussten sie machen. Das Feuer machen, es erhalten. Ihr Licht ist nicht natürlich, ihre Erkenntnis und ihr Wissen ebensowenig. Deshalb ist der Missbrauch Teil dieses Lichts.

Der Science-Fiction-Film bediente sich schon früh dem Einsatz von Licht als Synonym für Wissen und Macht.

Mit der heranschreitenden Naturwissenschaft änderte sich der Einsatz von Licht, doch die damit verbundene Überlegenheit blieb. Licht wurde synonym mit Elektrizität, ein Symbol für Wissenschaft und Technik. Fortan wurde Licht in der Science Fiction das Mittel von Wissenschaftlern, die nicht selten verrückt und/oder böse waren.

Sie erschufen den berühmten Roboter in Fritz Langs Metropolis, der umgeben von Lichtkreisen zu leben begann. Überlegene Maschinen erzeugten auf Knopfdruck Schöpfung – ihre Bediener wurden Gott durch Technik. Gekennzeichnet von Licht, über das sie geboten.

Gar das archaische Bild der Gewalt über das Feuer blieb erhalten: Es flammte aus Raketentriebwerken, die Mensch, Maschine und Außerirdische mit großer Geschwindigkeit über große Distanzen brachten.

Unvergessen das Licht in Kampf der Welten von 1953: Laserstrahlen, sprich Licht, wurden von bösartigen Außerirdischen auf die Erde abgefeuert und richteten Zerstörungen gigantischen Ausmaßes an. Licht als Schöpfungs- wie auch Zerstörungsmetapher gesteuert von überlegenem Geist.

Das Innere von Raumschiffen wurde erst durch massiven Einsatz von Licht futuristisch: Je mehr blinkende Lichter auf einer Brücke oder in einem Labor zu sehen waren, umso mehr Komplexität und technologisches Know-how konnte vermutet werden. Für den Zuschauer waren diese Zeichen übrigens so verständlich, dass sie nicht erklärt werden mussten: Das Urbild des Lichts als Wissensträger war und ist noch immer aktiv. Wie wäre man in den 50ern enttäuscht vom iPod gewesen …

Licht repräsentierte maschinelle Funktion und damit technische Fertigkeiten der Anderen, die die unsrigen übersteigen. Sie sind machtvoller als wir – uns versetzt es entweder in das Hoffen, die Fremden sind uns wohlgesinnt und setzen ihre überlegene Technik höchstens für uns statt gegen uns ein – oder in Furcht vor ihrer Bösartigkeit.

Licht ist in beiden Fällen vorhanden. Das gleißende Licht der Raumschiffe in „Independance Day“ ist Inbegriff weltweiter Vernichtung. Die hellen Lichter in Unheimliche Begegnung der dritten Art ist Verheißung, Hoffnung, Freundlichkeit.

In Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum erlangt Bowman durch einen wüsten Ritt durch Licht Erkenntnis, in strahlendweißen Räumen Unsterblichkeit und Wiedergeburt.

Und doch war es erst Spielberg, der in seiner Unheimlichen Begegnung das Licht massiv als Symbol über einen ganzen Film hindurch einsetzte. Dabei ließ er zunächst eine mögliche Deutung ins Unangenehme durchaus zu. Wenn die Außerirdischen im Film der Mutter ihren kleinen Sohn entreißen, ohne sie mit einzubeziehen, ist dies durchaus ein zunächst gewalttätiger Akt, ganz gleich, welche Wendung der Film letztlich nehmen wird.

Aber Licht wird hier in seiner ureigenen Form gezeigt: Als Stellvertreter für eine Macht, die wenn nicht Angst, so doch Verblüffung, Befremden auslöst. Das, was im Licht ist, beherrscht das Licht und damit auch „höhere Mächte“, und seien sie auch nur rein technologisch. Das Licht im Film kündet von Überlegenheit – und nicht nur auf technischem Gebiet. Die Lichtinszenierung in diesem Film lässt Heiliges durchdringen, etwas zutiefst Mythologisches. Die Menschen werden im Film magisch vom Licht angezogen, vom Wissen, angefacht durch Neugier. Und richtig: Durch das Licht werden die Menschen „wissend“, sie wissen, wenn auch zunächst unbewusst, vom späteren Landeplatz der Außerirdischen. Dass dieser Ort ausgerechnet „Devil’s Tower“ heißt, lässt sich durchaus deuten: Die Außerirdischen erhellen mit ihrem Wissen und ihrer Weisheit die sprichwörtliche Dunkelheit der Menschen. Und deren Bösartigkeit, um sie zu vertreiben.

Spielberg ließ sich von den zahlreichen UFO-Sichtungen inspirieren, die fast alle in Dunkelheit stattfanden, in der Lichterscheinungen zu sehen waren: Mythologische Archetypen aus der Frühzeit der Menschen. Das Licht im Dunkel ist ihre Intelligenz in der Unterlegenheit der Menschheit, die noch viel zu lernen hat. Sonne, Mond und Sterne sind keine Götter mehr, auch der Olymp hat ausgedient. Die Götter kommen von den Sternen. Götter, auch wenn wir sie aufklärerisch „Wesen“ nennen, sind sie in gewisser Weise noch immer geblieben.

Das Licht repräsentiert sie. Spielberg war der erste, der sie entsprechend und bis heute stilbildend in Szene setzte. Das macht „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ zu einem Klassiker des modernen Films.

Wenn in Invasion vom Mars, gerade in der Neuverfilmung von 1986 die unheimlichen Lichtspiele zu sehen sind, ist dies nichts Anderes, nur unter anderen Vorzeichen.

Auch das „innere Licht“ oder „das innere Leuchten“ ist für beide Seiten besetzt worden: Wo das Herz von E.T. aus dem Inneren nach außen rot leuchtet und somit Verletzbarkeit zeigt, ist das rote Leuchten im Roboter Maximilian aus Das schwarze Loch zwar ebenso Zeichen von Intelligenz, jedoch bösartiger Natur.

In Filmen neueren Datums hat sich der Lichteinsatz verändert. So werden in Independance Day die Ausleuchtungen varriert: Das helle Licht der Zerstörung außen, die höhlenartige Düsternis des Bösen im Innern der Raumschiffe.

Heutzutage blinken keine Tausende bunte Lichter mehr – unsere Gegenwart hat dieses Zukunftsszenario längst getilgt. Stattdessen gibt es funktionale mehrfarbige Panels und Screens – oder schlicht strahlendweiße, nahezu sterile Orte. Heutzutage ist das vordergründige Fehlen von Technik Beweis für technische Überlegenheit.

Wie auch immer sich die Darstellung des Lichts in kommenden Filmen späterer Jahre auch verändern mag, so bleibt das Grundmuster ebenso gleich wie die intentionale Aufladung des Lichts. Licht als Zeichen ist uns in die Wiege gelegt, es ist Teil unserer Kultur. Ebenso die Hinwendung zum Göttlichen, in welchem Maßstab und welcher Ausprägung auch immer.

Denn auch wenn wir uns immer weiter entwickeln und eines Tages zu dem entwickeln könnten, was wir derzeit an gottgleichen Wesen in Filmen sehen, werden wir unseren kulturellen Anfängen auch weiterhin verbunden sein. Durch alle denkbaren Ausdrucksformen.

Dieser Artikel erschien im Magazin BWA 311 des Science-Fiction-Clubs Baden-Württemberg SFCBW.

Biedermeier to go

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Krisen sind es, die zu Rückzügen führen. Raus aus der Welt, hinein ins Häusliche, Private, Überschaubare. Dort mag man finden, was abhanden kam: Sicherheit, Schutz, Kontrolle und Vertrauen in sich selbst und das eigene Leben. Und eine Zuflucht aus vorangegangen unsicheren Zeiten.

Biedermeier heißt eine Epoche des 19. Jahrhunderts und bezeichnet eine Abkehr von  der großen weiten Welt zugunsten der Behaglichkeit des Zuhauses mit seinem Schutz und seiner Ruhe.
Doch auch heute stürzt sich der Einzelne bisweilen zurück in sein privates Biedermeier. Nicht selten wird da ein verlängertes Wochenende zu einer privaten Biedermeier-Zeit. Heutzutage hat das Ganze einen anderen Namen: Auszeit.

Dort ist nichts Neues zu finden – und gerade das ist auch ganz gut so.

Dem privaten Biedermeier geht ein Erschöpfungszustand oder ein Schmerz voraus, im Großen nach Finanzkrisen oder Kriegen, im Kleinen nach persönlichen Schrecken, Enttäuschungen, Peinlichkeiten oder einfach nur Überforderung, Erschlöpfung und Müdigkeit. Früher gab es dafür das schlne Wort Überdruss.
Alles ist ein Zustand einer Verletzung und eines Verlustet – die Zeit zum Ausheilen brauchen. Alles, was Wunden risse oder für weitere Unruhe sorgt, muss draußen bleiben. Man verkleinert damit notwendigerweise seinen Einfluss- wie auch Wirkungsbereich, schränkt sich wohlmöglich ein, kappt Kontakte, unterbricht oder beendet Verhältnisse.

Die hereinbrechende Stille ist kein Vakuum. Sondern vielmehr birgt sie eben das, was verloren ging: Vertrauen. Vertrauen in die Welt, in Menschen, in Zustände. Und vor allem Vertrauen in sich selbst und seine eigene Meinung und Ansicht.

Es ist Vertrauen, das verloren gegangen sein muss, um das Biedermeier aufblühen zu lassen. Und wenn es anbricht, wird es als heilsam, gar als schön empfunden. Es ist die Salbe und die Schmerztablette, der Verband und der Gips. Vertrauen wieder zu gewinnen ist nötig, denn ohne dies wäre ein Weitergehen, geschweige denn ein Weiterkommen nicht möglich. Das – übrigens gar nicht biedere – Biedermeier hilft dabei.

Im überschaubaren Raum, in den man sich zurückzieht, weiß man, womit man es zu tun hat. Nichts Unerwartetes oder Unvorhergesehenes erwartet einen, nichts droht, nichts schwelt, nichts kommt auf einen zu. Ein Gefühl wattierter Sicherheit, tröstend in seiner Wärme und Weichheit. Das Kappen der Sorgen, die man als öffentliche Person mit sich herumtragen mag, verschwinden langsam, und ihr Fehlen bietet mit der Zeit Erholung von dem, was zum Grund des Rückzugs wurde. Eines Tages mag der Schmerz oder Erschöpfung oder Überruss, die man erfahren hat, von selbst abklingen.

Vertrauen kann in Sekundenschnelle schwinden, der Aufbau erfolgt in kleinen Schritten. Man muss Geduld haben. Bis der Blick sich wieder hebt, bis die Gedanken nicht mehr bleischwer den Verstand vergiften, bis einfach der Schmerz nachlässt.

Gründe für Rückzüge gibt es viele. Von Überarbeitung über Stress bis zu Enttäuschung, Verlust, Demütigung oder Zweifel reichen sie, die eines gemeinsam haben: Es gab ein Zuviel von ihnen.

Dieses Zuviel überlastet die Schaltkreise der Maschine Mensch, deren Verstand eines Tages einfach blockiert oder deren Emotionen verrückt spielen, schlimmstenfalls eine Kombination beider Zustände. Am Zuviel zerbrechen sie und sehen nur noch in der Betulichkeit ihrer eigenen vier Wände Rettung. Rückzug ist immer eine Form der Depression. Bestenfalls eine relativ harmlose. Schlimmstenfalls nicht.

Rückzug ist nicht gleichbedeutend mit Rückschritt. Und er ist auch nicht für die Ewigkeit gedacht. Auch als Epoche war das Biedermeier eine Übergangszeit, eine Reaktion auf Zeiten, die eine Restauration nötig machten. Somit geschah kulturgeschichtlich im Großen, was menschlich im Kleinen geschieht: Eine Renovierungsphase, eine Erneuerung.

Heutzutage ist das private Biedermeier nicht selten. Immer wieder wird man aus der Bahn geworfen, findet man auf die Bahn zurück. Freunde warten oder flüchten und fluchen, sehen Egoismus, mögen sich im Stich gelassen fühlen und mögen sich in ihr eigenes, individuelles Biedermeier zurückziehen. Jedenfalls abwenden vom Schlachtfeld. Doch nötig ist die Zeit dennoch, in der man dem erlittenen Schmerz oder Schock beim Abklingen nachspürt, bis man, eines Tages, das Fehlen des nachgelassenen Schmerzes nicht registriert.

Und das Biedermeier beendet.

Hemingwrite – die neue alte Art, zu schreiben

Nein, sie stirbt doch nicht aus: Die gute alte Schreibmaschine. Das beweist Hemingwrite, eine Schreibmaschine, die – natürlich – auch noch mehr ist. Hemingwrite überträgt die Funktionalität einer alten Schreibmaschine in die heutige Zeit, so dass ein kleiner papierweißer Monitor als Papierersatz dient. Und selbstverständlich muss und kann man die Texte elektronisch speichern. Doch interessant machen Hemingwrite nicht die technischen Features, sondern vielmehr das Konzept des Schreibens, das dahintersteckt. Denn Hemingwirte besinnt und reduziert sich.

Der Begriff „retro“, der auch Hemingrwite anhaftet, reicht bei Weitem nicht aus.
Es geht um das Schreiben an sich, um die Natur des Verfassens. Sie gedeiht eben nicht in der Fülle von Funktionen und technischer Finessen, sondern dort, wo von Technik und Bedienung eben keine Rede mehr ist.
Wie ich erst kürzlich in einem Blogartikel schrieb, sind Schreibende inzwischen nicht nur von Tools umgeben, sondern von Diskussionen über deren Bedienung – Tekkies kapern alle Bereiche, wo sie oft nicht hingehören. So wundert es nicht, dass erstaunlich viele Schreibende wie Blogger, Texter, Journalisten oder Schriftsteller, nach wie vor auf das vollkommen analoge Notizbuch schwören.

Das Analoge ins Digitale zu bringen, ist ein Verdienst von Hemingwirte: Technik für den Einsatz, nicht den Einsatz für die Technik. Eine Reduzierung auf ein Wesentliches, das sich langsam wieder selbst wahrnimmt im Wust der Anwendungen.
Technik macht es vermeintlich einfach: Indem sie einem vorgaukelt, man habe etwas erreicht, wenn man sie beherrscht, wiegt sie einen in trügerischer Sicherheit. Dabei ist Schreibenden die verwendete Technik in erster Linie einmal egal. Sollte es auch, denn sie schreiben. Und ein versierter Benutzer eines Programms kann beim Schreiben nach wie vor ein untalentierter Depp sein.
Diese Wahrnehmung der eigentlichen Kompetenz und des initialen Wesens dessen, was man tun will, ist wichtiger als je zuvor. Denn es richtet sich wieder dem zu, was man eigentlich tun will und nicht, wie man es tun will. Das ist nicht nur eine Konzentration, sondern eine bewusste Ausklammerung von Störfeuer – die Vermeidung von Zeitverschwendung also.
Mit Heminwrite ist also nichts anderen als das Schreiben und das Festhalten des Geschriebenen möglich – nur statt auf Papier digital.
Das ist zu schön, um wahr zu sein? Leider ja: Denn Hemingrwite ist zunächst nicht mehr als Konzept, dem noch kein verfügbares Produkt folgt.
Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Das Team von Hemingrwite jedenfalls macht über Website, Blog und soziale Medien einiges, um auf ihr Projekt aufmerksam zu machen – das ist schon einmal geglückt, denn immer mehr Medien und Blogs befassen sich mit Hemingwrite.
So ist zu hoffen, dass eines Tages die Rückkehr zur guten alten – und doch ganz neuen – Schreibmaschine mit ihren Tugenden der Redutkion mehr sein wird als ein frommer Wunsch.

Schreiben und Werkzeuge

Wie den neuen Roman schreiben? Die Frage klingt einfacher, als sie ist – und eben das ist das Absurde an ihr. Denn ich stelle mir derzeit diese Frage eher mit dem Blick auf das ideale Tool. Da haben wir das absurde Wort: Tool. Mit dem Schreiben verhält es sich normalerweise so: Man hat einen Stoff und man schreibt. Mit der Tastatur, der Schreibmaschine, der Hand. In der Regel sind dies einfache Entscheidungen. Die Wahl eines Textverarbeitungsprogramms stellt sich noch. Aber auch dies ist eher kein Hindernis für das Schreiben an sich, und mal ehrlich, wir wollen doch genau das: Schreiben. Arbeiten mit Stoffen, Motiven, Charakteren. An Techniken des Schreibens feilen.

Und jetzt? Stolperte ich über die Frage, ob ein Programm wie Scrivener etwas für mich sei. Man liest ja viel darüber. Und ja, es klingt schon gut, so professionell. Was man damit alles tun kann. Eine Gratis-Testversion ist zudem auch nicht weit.

Womit ich zu meiner Frage komme: Ist es nicht lästig, sich damit zu befassen, mit welchem Programm man schreibt? Hindert es nicht am eigentlichen Schreiben, am eigentlichen Erarbeiten einer Story, eines Inhalts?

Nichts gegen Scrivener, auch wenn ich es letztlich nicht verwenden werde. Aber ich spürte recht schnell, dass mich das Beschäftigen mit dem Tool vom Eigentlichen ablenkte, dass sich mein Fokus verschob weg vom Schreiben hin zum Bedienen – und gibt es nichts Unmündigeres, Schlimmeres, als lediglich ein Bediener von etwas zu sein?

Während ich mich also mit Scrivener zu beschäftigen begann und ich mich durchklickte, im Internet nach deutschsprachigen Anleitungen suchte (fast hätte ich wie selbstverständlich „Tutorials“ geschrieben) und versuchte, mich einzufinden, stellte ich für mich fest: Nein. Nein, ich will das nicht. Es war und ist mir zu umständlich, mich mit einem Instrument zu beschäftigen. Ich wollte all die Dinge auch gar nicht lesen, die andere über das Programm geschrieben haben. Keine Hinweise suchen, dass und ob und wie das Programm für mich sinnvoll sein könnte.

Noch etwas fiel mir auf: Wie sehr und wie viel mittlerweile darüber geschrieben wird, wie man ein Programm ZUM Schreiben bedient. Statt darüber zu schreiben WIE man SCHREIBT. Vieles liest sich mittlerweile nur noch wie technische Beschreibungen von etwas, von dem ich das dumpfe Gefühl habe, dass es mit dem Schreiben an sich gar nichts zu tun hat.

Was mich zur Frage brachte: Muss man denn eigentlich zwangsläufig hinterfragen, ob die Art und das Programm, mit der und mit dem man arbeitet, überhaupt heutzutage noch zeitgemäß ist? Muss man sich hinterfragen, ob man nicht doch einmal etwas Neues ausprobieren sollte? Und zuletzt: Muss man das Gefühl haben, dass ein anderes, neues, professionelles Werkzeug aus einem einen besseren Schreiber macht und bessere Texte ermöglicht? 
Dann ist doch das Hinterherjagen danach eher eine Illusion, eine Kanalisierung der Beschäftigung damit, wie man sich selbst als Schreiber wahrnimmt und wie man zu seinen Texten und seiner Arbeit damit steht. Es wäre doch ein Irrglaube, dass ein Programm uns besser macht, und was soll überhaupt dieser Wesenszug, sich immer nicht nur zu hinterfragen, sondern wie selbstverständlich als unkomplett anzusehen und uns deshalb auf die Suche nach etwas zu begeben, was uns besser, klüger, kurz: kompletter macht?

Ganz sicher mag Scrivener ein ausgezeichnetes Werkzeug sein, das auch berechtigterweise viele Anwender gefunden hat. Dennoch steht die Frage im Raum, ob die generelle Auseinandersetzung mit neuen Tools nicht eher das eigentlich Schreiben stört, weil es ablenkt und Energie auf ein dumpfes Bedienen von etwas lenkt. Und ob es letztlich nützt. Zum Schluss bleibt nur die Antwort, die man für sich selbst findet, und ich habe meine gefunden. Sie lautet ganz einfach: Nein.

Unrechtsstaat DDR? Eine Mahnung zum Verwenden von Begriffen

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Zum 25. Jubiläum des Mauerfalls steht sie wieder im Raum, die Frage: Darf man die DDR einen Unrechtsstaat nennen? Oder geht dieser Begriff an der damaligen Realität vorbei? Eine geschmacklose Diskussion. Denn die Tendenz, das Wort Unrechtsstaat nicht zu verwenden, ist fatal. Wir brauchen Worte. Worte, die auch unmissverständlich deutlich sind. Worte, die Dinge und Zustände benennen.

Wir müssen uns der Bedeutung und der Geschichte dieser Begriffe sicher sein – da schaden Umdeutungen und Infragestellungen wie Hinweise darauf, dass Die Bevölkerung der DDR selbst nicht an Unrecht beteiligt war und der Begriff des Unrechtsstaats sie jedoch schuldig mache.
An Punkten wie diesen wird derlei Gebaren viel mehr als eine sprachliche Fingerübung, sondern sie wird zur Verfälschung der Wahrheit. Wer Begriffe umdeutet und verfälscht, fördert die Verwirrung und eröffnet Diskussionen rein um ihrer selbst willen.
So auch hier: Wer leugnet, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, wendet sich mit dieser Einstellung gegen das Volk der ehemaligen DDR und redet die Tendenzen klein, die ein solcher Begriff eigentlich nachhaltig zu verhindern versucht. Es ist die Aufgabe eines Begriffes wie Unrechtsstaat, das Andenken an Unrecht, Leid und Unterdrückung aufrechtzuerhalten.

Schließlich war es das Unrecht der Staatsobrigkeit dem eigenen Volk gegenüber, es war der größte Überwachungsapparat der Menschheitsgeschichte, es waren die Gefängnisse und Verurteilungen und die Mauertoten, die den Titel Unrechtsstaat erst möglich gemacht haben.
Ein Staat, der sich auf diese Weise seinem Volk gegenüber verhält, es unterdrückt und sich zum Feind macht, betreibt Unrecht. Tag für Tag.

Dies nun damit ausgleichen zu wollen, dass das Volk selbst am Unrecht nicht beteiligt war und es auch viel Normalität im Zwischenmenschlichen gab, höhlt Wahrheit aus.
In gewissem Sinne sind Begriffe Mahnmale – und die sollte man nicht beschönigen oder umdeuten. Sonst vergreift man sich an Geschichte und Wahrheit.

Als die Welt das Piepen lernte

Die stillen Zeiten sind vorbei: Spätestens ersichtlich wird dies, sobald man sich einen neuen Wagen setzt und auf das Gaspedal tritt. Dann nämlich geht es los, das große Piepen. Es sind die Abstandssensoriken, die den Autofahrer von heute in einer Tour warnen – nur: wovor bloß? Und macht uns das, was uns vor Folgen der Unachtsamkeit schützen soll, nicht im Gegenzug noch viel unachtsamer? Keep Reading

Warum Wirtschaftswissen zur Allgemeinbildung gehört

Gehört Wissenschaftswissen zur Allgemeinbildung?
Ja, um die Mechanismen zu verstehen, nach denen die Welt derzeit funktioniert. Um abzuschätzen, wo man steht – als Schritt zur Mündigkeit, durch Verstehen der Strukturen und Hintergründe beurteilen zu können, ob etwas gut oder schlecht ist, funktionierend oder krank.
Und auch um zu beurteilen und abzuwägen, wie es mit der Ethik dahinter aussieht.
Wirtschaftswissen bringt natürlich Menschen hervor, die bestens darin funktionieren, was gut für sie und das bestehende System ist, und eben dies ist der Impuls, der die meisten Verfechter leitet.
Aber es ist im Gegenteil auch gut für Menschen, die dank ihres Wissens zum Schluss kommen, dass dieess System falsch oder in einigen Punkten nicht richtig ist. Sie können etwas zum Besseren ändern.
Das ist gut für alle.

Altweibersommer oder die Macht der Entspannung

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Er sollte als eigenständige Jahreszeit gelten, und sie wäre des Menschen liebste: Der Altweibersommer. Ihm wohnt all das inne, was wir im Innersten mögen: Gelassenheit und eine Periode seliger Erschöpfung. Ein Aufatmen der Seele, die sich zuvor im Sommer verausgabte mit Jagen und Schwirren. Bevor der Herbst der Natur sichtbar eine Pause auferlegt, verströmt der Altweibersommer Behaglichkeit, nach der man sich zuvor gesehnt hat und Schönheit, die man bald vermissen wird. Ein kurzes Aufflackern Keep Reading

Farewell, Fremdwörterbuch – Ein Abschied

Farewell, FremdwörterbuchEinem jahrelang treuen Begleiter gab ich nun offiziell den Laufpass – dabei hat es mir seit Schulzeiten treu zur Seite gestanden: Das Fremdwörterbuch.
Nun ist es überflüssig geworden und auch (seien wir ehrlich) auch irgendwie antiquiert. Beim Lesen anderer Bücher auf ein Wort zu stoßen, das es zu klären gilt, verlangt nach schnellem Zugriff, und wer schleppte schon das Fremdwörterbuch als Beigabe mit auf Reisen?
 Da ist das Smartphone inzwischen einfach praktischer. Vor allem, weil es Keep Reading

Eigene Tagebücher öffentlich lesen – das Ding mit den Diary Slams

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2. Karlsruher Diary-Slam
2. Karlsruher Diary-Slam

Ja, es wirkt zunächst seltsam: In einem Diary Slam lesen Männer und Frauen aus ihren Tagebüchern vor – auf einer Bühne und vor anwesendem Publikum. Wer macht denn so was? Und dass das Publikum dann wie in einem richtigen Slam üblich Punkte vergibt und einen Sieger kürt: Klingt seltsam? Alles halb so wild, wie mein Besuch bei dem 2. Karlsruher Diary Slam zeigte. Keep Reading

Die Deutschen sind anders als ihre Filme

Die Deutschen sind anders als die Filme, die sie drehen. Diese werden gedreht von Menschen, die nichts zu erzählen haben und produziert von Menschen, die ihr Geld schon im Sack haben. Die Filmforderung macht’s möglich. Da gibt es nichts zu befürchten in dieser Sphäre, da gibt es keine Misserfolge oder Flops. Diese Filme sind billig und müssen kein Publikum finden, das dafür bezahlt. Sie dienen den Eingeladenen auf Premieren und Festen als Treffpunkt fürs Netzwerken. Keep Reading

10 Bücher, die mich beeinflusst haben

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Von Autor Matthias Falke wurde ich auf Facebook zur Buchchallenge eingeladen – hier sollte man die 10 Bücher angeben, die einem am wichtigsten sind, bzw. die einen maßgeblich beeinflusst haben.

Dieser Einladung bin ich gerne gefolgt. Bei der Überlegung stellte ich indes fest: Die wichtigsten Bücher sind nicht automatisch meine beliebtesten. Manche Titel haben mich nachhaltig beeindruckt, mein Denken beeinflusst, mich in meinem Wesen berührt oder gar meine Sicht und Einstellung auf das Leben verändert – was jedoch nicht heißt, dass ich all diese Bücher seitdem mehrfach verschlungen habe.
Hier meine Top 10 der Bücher, die mich am meisten beeinflussts und/oder beeindruckt haben: Keep Reading

Die 10 wichtigsten Bücher, Platz 10: „Accelerando“ von Charles Stross

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Top 10 Bücher Platz 10: AccelerandoScience Fiction ist ideales Terrain für Gedankenspiele, wohin sich die Menschheit entwickelt, und welche Folgen dies haben wird. Charles Stross geht in seinem Buch in diesem Punkt mächtig zur Sache und spinnt eine Welt, an deren Anfang wir tatsächlich stehen könnten. Stross ist ein Denker unter den SF-Autoren, mehr noch, ein Weiterdenker. Er ist in der Lage, Keep Reading