Jahrelang war »Der Wind von Osten« nicht mehr als eine 1,5 Seiten lange Kurzgeschichte, die mir 1985 beim Hören des Lieds »Eastern Wind« von Chris De Burgh aus dem dem Jahr 1980 einfiel – darüber habe ich in Teil 1 des Making-ofs schon berichtet.
Recht schnell wurde mir klar, dass in der Kurzgeschichte mehr steckte, und so schrieb ich einige Zeit später eine kleine Fortsetzung mit dem sinnigen Titel »Nach dem Wind von Osten«. Auch diese hatte mit dem Roman so gut wie nichts zu tun.
Denn einen Roman hatte ich nie beabsichtigt.
Das änderte sich Anfang der 90er-Jahre, wenn auch nicht auf einen Schlag. Man nagle mich nicht fest, aber ich glaube, es war 1991.
Schuld war ein Independent-Film, der in meiner damaligen Heimatstadt Hamm nicht ins Kino gekommen war, jedoch wenige Monate später bereits seine TV-Premiere im Rahmen einer speziellen Filmreihe von RTL im Nachtprogramm feierte: Philipp Ridleys »Schrei in der Stille«, Originaltitel »The Reflecting Skin«. Weil er werktags lief, hatte ich ihn auf Video aufgenommen und konnte kaum abwarten, ihn am nächsten Tag zu sehen. Ich verdunkelte mein Zimmer, startete den Film – und mich traf der Schlag!
Abgesehen davon, dass der Film für mich bis heute ein Meisterwerk ist, war ich von den Bildern und der Filmmusik hingerissen: Der Wind, der durch die endlosen Felder streicht. Die Weite der Landschaft. Die Filmmusik!
Der Film beeindruckte mich zutiefst, erschütterte mich in gewisser Weise. Ich denke meine Geschichten seit jeher visuell. Zu Filmmusik habe ich mir ganze Szenen für Geschichten und Szenen in frühen Romanentwürfen erdacht und mir vorgestellt, sie so im Kino zu sehen.
»The Reflecting Skin« war auf dieser Ebene für mich einschneidend und riss mich völlig aus den Schuhen. Wie ein Verrückter empfahl ich diesen Film allen möglichen Leuten, verlieh die Cassette an Freunde, die letztlich aber keinen Zugang zu diesem in der Tat rätselhaften Werk fanden.
Mir hatte sich der Film sofort erschlossen – kein Witz! Die metaphorische Ebene dieses Films, den manche mit Werken von David Lynch vergleichen, stellte sich mir sofort beim ersten Mal ganz klar da.
Es war diese visuelle Wucht und die musikalische Durchschlagskraft, die mich nachhaltig prägten.
Nein, ich hatte nicht sofort danach die Idee, aus meinen beiden klenen Kurzgeschichten nun einen Roman zu machen, und so dauerte es auch noch einige Zeit, bis ich die Idee bekam und letztlich auch anging und umsetzte.Aber »The Reflecting Skin« war wie eine Art Samen, der in mir etwas heranreifen ließ, was sich letztlich direkt auf den Roman auswirkte.
Es brauchte noch weitere Dinge, damit die Saat aufgehen konnte. Und zwar zwei ganz konkrete Orte.
Aber dazu in anderen Artikeln später mehr.