Oliver Koch

Erzählung „Sag mir, wer du bist“

Laura war klar, dass die Nachbarn reden, und auch wenn sie bedeutendere Probleme hatte, war es ihr unangenehm. Sie dachte daran, während sie im Zimmer ihres Sohnes saß und weinte. Sie dachte daran, als sie das erste Mal aus der Tür trat, nachdem es bekannt geworden war und sie den Blick der Leute hatte aushalten müssen. Viele von ihnen kannte sie gar nicht oder nur vom Sehen, wie Sternschnuppen waren sie zuvor aufgetaucht und wieder aus ihrem Blickfeld verschwunden, fortgeschwemmt mit ihren Ansichten, die belanglos für sie gewesen sind, wie umgekehrt auch sie nichts anderes für diese Nachbarn gewesen ist als eine Erscheinung, die zufällig den Weg kreuzte.

Bis vor drei Tagen. Als sie danach das erste  Mal das Haus verlassen musste, spürte sie, wie sie zu einem Blickpunkt geworden war, der bewertet und verachtet wurde.

Dabei konnte sie unmöglich die Schuld tragen – zumindest nicht allein. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es hatte geschehen können, und so unbeteiligt sie sich fühlte, so ungerecht empfand sie zu allem Gram die Abwertung ihrer Nachbarn.

Ob alle Freunde noch zu ihr hielten, die sich bislang nicht gemeldet hatten?

Monika hatte keine Stunde nach der Mitteilung bei ihr angerufen, um ihr zu versichern, dass sie zu ihr halten werde „egal, was passiert ist“.

Wenigstens. Aber dieses „Egal“ war und blieb das Kainsmal. Denn was geschehen war, war nicht egal, und es ließ sich nicht mehr aus der Welt schaffen.

Seit drei Tagen bekam sie kein Auge zu, und die Stille zwischen all den Gesprächen und Telefonaten spendete Trost und Schmerz gleichermaßen.

Die Stille ließ sie eintreten in das Reich der Bewertung, und dieses Reich war gewaltig. Es hatte unerforschte Gelände wie ausgetretene Pfade, es hatte Klippen und Tiefen, stille Wasser und stürmische Steppen. Hin- und hergerissen zwischen Ohnmacht, Scham und Schuld fand Laura noch nicht den Platz, an dem sie sich niederlassen konnte – stattdessen trieb sie durch dieses Reich und marterte sich mit den unendlichen Möglichkeiten, die es bot.

Sie war zu betäubt, um müde zu sein, und auch zu betäubt, das Zimmer, in dem sie gerade saß, mit ihrem Sohn in Verbindung zu bringen, obwohl es seines war.

Das Zimmer eines Teenagers, auf rührende Weise chaotisch, auch wenn sie immer sagte, er solle aufräumen. Poster hingen da ebenso wie erste Bilder von Renoir – billige Pappdrucke in rahmenlosen Bilderhaltern, aber für ihn war es wie ein Museum und ein Schritt zum Erwachsenwerden. Renoir hatte er in einer Zeitschrift beim Arzt entdeckt, sich eine kleine Kollektion besorgt und zwischen Film- und Bandplakaten sowie einem Fan-T-Shirt an die Wand gehängt.

In diesem Zimmer machte er seine Hausaufgaben oder täuschte es wenigstens vor. Den Flachbildmonitor des Computers hatte er sich vor drei Monaten durch einen Ferienjob verdient, und er war so froh, als er ihn sich gekauft und aufgestellt hatte. „Wow“ war durch das Haus gehallt, voller Glück über dieses alberne Technik-Ding. „Superscharfes Bild!“

Und nun saß sie da und atmete die Luft eines seit drei Tagen ungelüfteten Zimmers ein, das noch ein wenig nach ihrem Sohn roch. Seinem Deo aus de mSupermarkt, das er sich unter die Achseln sprühte. Und fragt sich, was die Nachbarn wohl dachten. Ob sie letztlich fair seien – aber konnte sie das erwarten? Die Zeitungen fragten, wie es hatte geschehen können, und was sollte sie darauf sagen?

„Ich habe keine Ahnung“, sagte sie jedem und immer wieder sich selbst „Er war ein ganz normales Kind.“

„Er hat keine Auffälligkeiten gezeigt“, hatte der Schulleiter zu Protokoll gegeben, vor zwei Tagen, als die Schule plötzlich still stand. Seitdem spudelten die Ermittlungen mehr und mehr gruselige Details aus.

Warum ihr Sohn zum Mörder wurde, wusste noch niemand – doch die Nachbarn sagten nun, sie habe es verschuldet, schließlich sei sie die Mutter.

„Lass dich nicht fertigmachen“, sagte Monika, und der Beistand, den sie auch von anderen bekam, tat ihr weder gut noch schlecht. Zu benommen war sie, um glücklich darüber zu sein oder froh, das Wissen um Rückendeckung prasselte wie Wasser in eine Zisterne.

Vor vier Tagen war sie lediglich Mutter von Nils, ihrem 16-Jährigen Sohn, der zum Gymnasium ging und der sie ein ums andere Mal wahnsinnig gemacht hat. Mit seiner Lautstärke, mit seiner pubertären Pampigkeit, mit seinen unausgereiften und wöchentlich wechselnden Ansichten, wie man sie in dem Alter hat.

Den sie liebte für das, was er war und wie er war.

Nun war sie die Mutter eines Mörders, der in ein Haus eingedrungen und mit einem Freund ein Ehepaar erstochen hat – einfach so. 

Über 50 Messerstiche bei jedem.

Als sie im Fernsehen Worte hörte wie „Blutrausch“ und „Wahnsinnstat“, dachte sie zunächst, welcher Geisteskranke und Perverse da zugeschlagen haben mochte.

Als sie hörte, dass Nils verhaftet worden war, weil er einer dieser beiden Geisteskranken und Perversen war, lähmte Schock die Welt ringsum.

Ein eigenartiges Gefühl, über das sie in einigen Monaten ein Buch geschrieben haben würde, nachdem ihr Sohn längst verurteilt und inhaftiert worden war.

Es war kein Gefühl inneren und äußeren Stillstands – auch keins von Eiswasser am Körper. Trudeln? Fallen? Nein. Ein Gefühl im Bauch. Ein Schmerz, der nicht fragte, ob er kommen dürfe oder nicht. Sondern der einfach kam und schlug. Seit drei Tagen schon.

Frank ist es gewesen, der recht schnell gesagt hatte: „Das liegt in unserer Verantwortung, er ist unser Sohn.“ Seitdem war er abgetaucht, dümpelte in der Trübe von Sprachlosigkeit und blickte mit stumpfen Augen nach nirgendwo. Oder in sich hinein. Oder wartete wie eine Maschine auf Standby auf einen Impuls, wieder anzuspringen, der nicht kam. Wer konnte das wissen …

Das Wort „Verantwortung“ hatte weh getan, auch „unser Sohn“. An ihnen wäre es gewesen, das zu verhindern, doch so sehr Laura nach Indizien blickte, nach Beweisen, die sie hätten übersehen können, fand sie nichts anderes als typische Dinge in einem typischen Zimmer eines typischen Teenagers. 

„Die Computerspiele sind es“, sagten sie im Fernsehen, die einer ebenso geschockten wie höchst interessierten Menge die Tat zu erklären versuchte. Nils hat Spiele gespielt, auch online. Aber da traten Fabelwesen mit Waffen zwar, aber ebenso mit Zaubersprüchen gegeneinander an. 

Diese Spiele haben Nils zu keinem Mörder gemacht – allein schon die Symbiose dieser beiden Worte: Nils und Mörder. 

Sie erinnerte sich an die erste Begegnung mit Nils nach der Tat. Er hatte da gesessen, ihr Nils. Ernst sei er, kalt, sagten sie, doch sie wusste es besser. Er schwieg unter einer Maske. Der Mörder, der ihr gegenüber gesessen hatte im Moment ihres Eintretens kurz aufgesehen und sofort zu Boden geschaut. Geschämt hatte er sich, das wusste sie.

Als sie dem Mörder gegenüber saß, fielen ihr keine Worte ein, Frank war daheim geblieben. Er konnte den Anblick seines Sohnes nicht ertragen.

Sie auch nicht. Abscheu überkam sie, und Wut, dass sie ihn hatte schlagen wollen, mehrmals, einfach mitten ins Gesicht. Er hätte es verdient.

Nils Namen auszusprechen war schwer gefallen. Der Name verpuffte in den Universen zwischen ihnen. Kalt, sagten sie alle, die in ihm nur die Bestie sahen. Überrumpelt, sagte sie, die seine Mutter war und ihn besser kannte.

Die Stille zwischen ihnen war unerträglich laut geworden, und während sie da saß und das „Warum“ nicht zu fragen wagte, wünschte sie sich nach Hause, an den Beamten vorbei, die sie ansahen wie die Mutter eines Biests, die durch seine Geburt das Elend verschuldet hatte.

Das „Warum“ war ihrem Mund schließlich von allein entwichen – eine Antwort konnte es kaum geben, und so schwieg Nils. Er zuckte nur die Achseln.

„Warum?“ fragte sie nochmals, diesmal mit Nachdruck. „Wie kommt ein Mensch auf diese Idee? Warum TUT man so etwas?“

Auch jetzt, da sie in seinem Zimmer saß und das Monster und den Mörder darin zu finden versuchte (erfolglos) oder wenigstens Anzeichen darauf, gab es keine Antwort.

„Wir sind verantwortlich“, stammelte Frank immer wieder in die Stille hinein, wenn er überhaupt sprach. Wie sollte er jemals in seine Firma zurückkehren? Wie sollten sie das Haus halten können in dieser Umgebung, in der man sie ansah als Mörder-Eltern, deren Wertelosigkeit sich in ihrem Sohn manifestiert hatte.

Nils gab immer die Hand, wenn er Erwachsene kennenlernte. Nils gab sich immer Mühe bei der Auswahl der Geschenke für seine Eltern zu Weihnachten und zum Geburtstag. Nils hatte von sich aus einen Ferienjob gesucht, weil er sich Dinge leisten wollte, die er nicht bekam. Über diesen Nils sprach die Reportermeute nun als „Das Böse hat ein Gesicht“ und „Das Böse kam am Abend.“ Die Nachbarn sprachen nun davon, in der Nachbarschaft des Bösen zu leben, als sei Nils der Antichrist und Laura und Frank diejenigen, die die Schuld für sein Erscheinen trugen.

„Wer bist du?“ hatte sie Nils beim ersten Treffen gefragt. „Das kann doch nicht mein Sohn sein.“ Tränen quollen. „Das kann doch nicht mein Sohn getan haben! Sag mir wer du bist!“ Als sei ein Dämon in ihn gefahren, den es auszutreiben galt. „Sag mir wer du bist!“

Nils Gesicht begann sich darauf zu verformen, dass es nicht lang gedauert hatte, bis er weinte mit bebendem Körper, nicht wagte, sich hinter einer Hand zu verstecken und stattdessen zu Boden blickte. 

Und „Mama“ sagte.

Mama – Verantwortung, Erziehung, Werte, Vermittlung, Liebe, Scheitern. Konzentriert in vier Buchstaben. 

Es waren die letzten Worte, die sie miteinander gewechselt hatten. Sie konnte und wollte nicht Mama sein und gleichzeitig doch.

Sein Zimmer war so normal. 

Das getötete Paar kannte sie nicht. Nils und sein Freund Peter hatten es sich wahllos ausgesucht,  einfach geklingelt und den Mann nach dem Öffnen der Tür ins Haus getrieben mit gezückten Klingen und noch im Flur getötet. Die Frau hatten sie durch das Wohnzimmer verfolgt, zwischen Sofa und laufendem Fernseher war sie auf dem Boden gestorben. Mit Stichwunden in Brust, Rücken, Hals, sogar Gesicht.

In seinem Zimmer funkelte keine Messerklinge, keine Aggression zeigte sich. Auch die Polizei, die sein Zimmer durchsucht hatte, hatte nichts Verdächtiges finden können. Woher auch immer „das Böse“ gekommen war oder was es hatte ausbrechen lassen, niemand fand eine Antwort.

Er ist so normal.

Nach der Tat wurden Nils und Peter schon vor der Haustür von Nachbarn abgefangen, die die Schreie des Ehepaares gehört hatten. Beide Jungen waren voller Blut und hielten die Messer noch in den Händen. 

Die einzigen Worte, die man bislang den beiden hatte entlocken können, waren ein gemurmeltes „Weiß nicht“ von Peter und ein „Einfach so“ von Nils.

Es quälte Laura, dass sie nicht um die Toten trauern konnte, doch dieses Ehepaar war so weit von ihr entfernt wie der Mars oder die Sonne oder Alpha Centauri.

Sie schämte sich dafür, nichts anderes zu empfinden als die Schande, versagt zu haben und sich über das Gerede anderer Leute den Kopf zu zerbrechen, und Trauer zu verspüren, weil Nils ihr und Franks Leben zerstört hatte. Ihr fielen die Worte ihrer Mutter von heute früh ein: „ Es ist nicht wichtig, wo man beginnt, die Sache zu begreifen. Wichtig ist, dass man damit beginnt.“

Beginnen, ja. Beginnen bei sich selbst. Lass es einfach fließen und sich zusammensetzen.

So kehrte die Frage zurück, die sie Nils gestellt hatte: „Sag mir wer du bist“, und die Antwort war so absurd wie einfach. Das Böse, das Biest, das Monster?

Mag sein.

Aber es kam ihr nun so vor, als hätte Nils auf Ihre Frage zu ihr aufgeblickt, sie lange angesehen und einfach das Naheliegendste gesagt: „Dein Sohn.“

Der Wind von Irgendwo – Kapitel 2: Der Streich komplett lesen

Mystery-Roman von Oliver Koch

Erst Kapitel 1 lesen

Der Tag erblühte mit jeder Minute und gelangte zur Reife. Die Sonne stieg weiter auf, es wurde heller, und die Natur wiegte sich in Sonne und Wind. Im Dorf wurde eifrig gearbeitet. Man ging in Keller oder Scheunen, um alte Girlanden aus Truhen zu kramen, man machte sich daran, die Feuerstelle inmitten des Dorfes zurechtzumachen und mit Holz zu versorgen.
Mark beschäftigte sich noch immer mit Holzhacken, und aufgrund der Hitze hatte er seinen Oberkörper freigemacht. Somit wurde er zu einem Blickpunkt für so manches Mädchen, das an ihm vorbeikam. So kam Sarah in seine Nähe und blieb unverblümt stehen, um den Jungen zu betrachten. Er war ein stattlicher Anblick, denn die Arbeit, die er oftmals erledigte, hatte an seinem Oberkörper sichtbare Spuren hinterlassen. 
Sarah betrachtete gern das Muskelspiel des Jungen, der der Schwarm aller Mädchen im Dorf war.
Mark, ganz beschäftigt, bemerkte den Blick nicht. Er keuchte und schwitzte unter Hitze und Arbeit, und hörte nur selten auf, um den an seiner Stirn herabrinnenden Schweiß am Einlaufen in die Augen zu hindern.
»Hallo, Mark«, hörte er eine Mädchenstimme hinter sich sagen, und er drehte sich um. Blinzelnd erkannte er Sarah, die beschlossen hatte, auf sich aufmerksam zu machen. Sie lächelte, versucht, distanziert und freundlich zu wirken.
»Hallo«, antwortete er. »Hast du viel zu tun?«
Sie nickte verschämt und nutzte das Blinzeln Marks kalt aus, um ihn unverblümt zu betrachten und sich an seinem Anblick zu ergötzen.
»Aber sicher nicht sowas wie ich, oder?«, fragte er.
»Nein, natürlich nicht. Ich habe eben mit meiner Mutter ein paar Hühner gerupft.«
»Ich muss auch gleich mithelfen, Hasen zu schlachten.«
»Das ist mir zu blutig.«
»Nun ja, was soll ich sagen. Um so besser schmecken sie mir heute Abend.«
Sarah legte den Kopf schief und scharrte mit dem linken Fuß im Boden. »Ich hoffe, du kannst tanzen, Mark.«
»Tanzen? Ich? Nun, wenn ich betrunken genug bin, sicher.«
»Nein, ernst, Mark. Kannst du tanzen?«
»Ich habe es noch nie ausprobiert außer dem Gehopse auf den Festen. Aber ob das Tanzen ist, weiß ich nicht.«
»Heute Abend werde ich das erste Mal an unserem Tanz teilnehmen, und dazu braucht man immer zwei.«
Mark wusste Bescheid. »Diese Formationstänze sind doch gähnend langweilig, Sarah. Sie sind viel zu langsam und öde.«
»Es kommt immer darauf an, mit wem man sie tanzt.«
»Das finde ich nicht. Das ist doch kein Tanzen, das ist – … keine Ahnung, was das ist. Es macht jedenfalls keinen Spaß.«
Sarah sah zu Boden.
»Aber das soll ja nicht heißen, dass ich nicht mit dir tanzen würde, wenn ich betrunken genug bin.«
»O, danke, Mark.«
»Nein, nein, so war das nicht gemeint. Ich wollte sagen, dass ich vielleicht tanze, mal sehen, wie ich gelaunt bin.«
»Na, vielleicht wirst du in der Stimmung sein.«
»Kann ich jetzt noch nicht sagen.«
»Verstehe.«
»Bist du beleidigt?«
»Nein, wieso? Ich blitze gerne ab.«
»Wieso abblitzen? Habe ich gesagt, ich würde nicht mit dir tanzen wollen? Nein, das habe ich nicht gesagt. Aber ich will nur auch vorbeugen, dass du allzu enttäuscht bist, wenn ich es dir versprochen habe und mein Versprechen breche. Das mache ich öfter.«
»Ja,ja, schon gut.«
Der Wind spielte um sie herum, und Mark spürte einen angenehmen Luftzug. Er versuchte immerzu, Sarah so zu betrachten, wie er es eigentlich gewollt hatte, doch sie hatte sich die ganze Zeit nicht von der Stelle bewegt und stand im Licht der Sonne, so als wäre sie eine Geburt von ihr.
In einem solch kleinen Dorf kam es oft vor, dass ein Mann, Junge, Mädchen, eine Frau sich in einen anderen versah und vergötterte, zumindest eine Zeitlang. Da gab es Phasen, da sich diese Menschen in die Träume der anderen vorwagten, so ganz von allein, um dann einige Zeit später ebenso von allein wieder daraus zu verschwinden.
Auch Sarah war Mark so manches Mal in die Träume gefolgt, doch hatte sie sich schnell wieder verflüchtigt. Mark kannte diese Gefühle nicht und wusste sie nicht zu deuten. 
Er wusste nicht, mit Liebe, Zuneigung oder Ähnlichem umzugehen. Und so stand er Sarah nun gegenüber und wusste nicht mehr ganz genau, was er denken sollte.
»Du bist jetzt beleidigt«, sagte er. »Gib zu, dass du beleidigt bist.«
»Ich bin nicht beleidigt. Nur enttäuscht. Habe mir was anderes versprochen.«
»Das weiß ich.«
Sie errötete und sagte nichts.
»Ist dir das unangenehm?«
Noch immer sagte sie nichts und sah zu Boden.
Er suchte nach Worten, nach Gesten, nach Phrasen, doch ihm blieb nichts als die verzweifelte Tatenlosigkeit, die ihn zum Dastehen und Stillschweigen verdammte. 
»Wir sehen uns heute Abend, Mark«, presste sich Sarah heraus und war verschwunden. Mark wusste nicht, ob er ihr nachrufen oder sie ziehen lassen sollte. Er wusste nichts. Und so ging sie.

Mit der Zeit wuchs der Haufen des Holzes neben ihm, und er betrachtete beiläufig die Veränderungen, die sich im Dorf vollzogen.Alles wurde langsam aber sich immer festlicher, alles wurde bunter.
»Du kannst gleich aufhören«, sagte ihm sein Vater. »Pet hilft mir gleich beim Schlachten, das brauchst du also nicht zu machen. Hör auf und ruh` dich aus.« Und so war Lorn wieder verschwunden, und Mark ließ die Axt fallen. 

Seine Arme waren ihm schwer, seine Schultern schmerzten ein wenig. Es war gut zu wissen, dass nun Schluss mit dem Holzhacken war. Es hatte ihn schon die ganze Zeit in die Ruhe gezogen, in das, was das Dorf umgab. Die weiten Wiesen und Weiden, die sanften Hügel, die Baumgruppen und die Felder waren und blieben immer ein großer Reiz für Kinder. Dort war ihr Abenteuerspielplatz. Was sollten sie auch anderes tun, als sich in der Umgebung zu vergnügen, auf verstaubten Dachböden oder in alten Scheunen? Wo nichts anderes existierte als der Frieden oder Unfrieden der normalen Dinge, da war die Phantasie der Zeitvertreib. Wer in der Lage dazu war, sie zu benutzen (und das waren nahezu alle im Dorf), der entdeckte so Manches, was dem Unerfahrenen auf alle Zeiten verborgen blieb.
Die Geschichten, die man sich erzählte und die eingingen in die Köpfe der Menschen – ob nun wahr oder nicht – waren die Dreh- und Angelpunkte des Lebens im Dorf.
Und Mark empfand wie alle seiner Mitmenschen: die großartige Umgebung war das Faszinierendste, das sie kannten. Er ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen und beinahe gedankenverloren sein Hemd, um es sich lediglich lose über die Schultern zu werfen. Um ihn herum liefen die Leute, schmückten die Wagen, trugen Holz und Bänke und rollten Fässer. Man tat, was man tun musste, tat es gründlich, schnell, aber nicht übereilt, immer bereit, zu verschnaufen, wenn es denn nötig war, ein paar Worte mit anderen zu wechseln, die einem entgegenkamen, und allgemein die Gesellschaft zu pflegen.
Mark schätzte das wie jeder andere auch. Doch nun war er etwas erschöpft und wollte seine Ruhe haben. Die Kinder rannten und tollten um ihn herum, Vierjährige liefen sich hinterher, und oftmals zupfte eines der Kinder an seinen Kleidern und rief »Mark, Mark«, doch er wollte nicht reagieren. Er ging einfach weiter zum Rand des kleinen Dorfes, zum Strand am Ozean der grünen Wiesen, aus dessen Fluten sich fernab die Berge erhoben, und die der grünen Flut, die an ihnen hochklimmen wollte, mit felsener Starrheit stolz trotzen. 
Mark war alles andere als ein Einzelgänger und ein melancholischer Junge, doch hatte er von Zeit zu Zeit das Bedürfnis nach Einsamkeit.
Im Dorf erzählte man sich, dass hin und wieder, äußerst selten, Wolfsrudel daherkamen, aus dem Wald in der Nähe, und das Dorf bedrohten. Jeder wusste, dass mit den Wölfen nicht zu spaßen war, und so verschanzte man sich so lange, bis sie wieder fortgegangen waren. Diese Belagerung, die hin und wieder, aber ganz selten auftrat, wurde ertragen und dauerte nie so lange, dass man zu hungern und dursten anfing. 
Zugegeben, man hatte Angst vor den Wölfen, man hatte Angst vor dem Schmerz, den ihre Bisse verursachten, aber niemand hatte Angst vor dem Tod. Und wo die Angst um das Leben, die Sorge um ein Fortbestehen verlorengegangen ist, hat auch die Panik ihren Nährboden verloren. Zurück bleibt nur noch ein Teil dessen, nämlich die Angst vor so Manchem und so Vielem, aber nicht vor etwas Bestimmten. Man fürchtete Tirata, ohne zu wissen, weshalb, man fürchtete die Corrin-Höhle, ohne zu wissen, was in ihr lag, man fürchtete den Frauenbaum, weil es hieß, er hätte irgendwelche dämonischen Kräfte inne, von denen man nicht wusste, welche es waren und wie sie wirkten. Aber dieser rudimentäre Teil der Angst war lebensbestimmend für die Menschen, denn sie hatten Angst, große Angst sogar. Sie hatten in latenter Weise Angst deshalb, weil sie nicht wussten, wovor sie sich eigentlich fürchteten. Das war im Grunde genommen schrecklich, denn dass etwas zum Fürchten vorhanden war, das wussten sie alle, und sie ängstigten sich wohl auch zu recht, aber sie fürchteten sich vor Dingen, von denen sie nichts verstanden. Es war wohl so, dass sie sich vor der Natur selbst fürchteten, weil sie sie so vergötterten. Man fürchtete und liebte einen Gott stets gleichermaßen. Aber der Umstand, sich nie sonderlich in Gefahr um das Leben zu sehen, machte die Menschen zu Ruheliebenden, die sich gern allein in eine Wiese legten und gedankenverloren in den Himmel über sich starrten. 
Mark ging auf das Haus von Tsams Eltern zu, ein Holzhaus wie alle. Es war solide und ohne eine Ordnung einzuhalten in das Dorf gebaut, wie alle Häuser. Da standen Häuser, Hütten und Scheunen umgeben von Wiesen, ohne erkennbare Ordnung. Hier galten keine geometrischen Regeln; hier standen die Gebäude wie zusammengewürfelt. Sie standen alle mit einigem Abstand auseinander, so weit, dass jedes Haus von einer freien Fläche und Wiese umrahmt wurde. Aber auch nicht so weit, dass man nicht mehr von einer Dorfgemeinschaft sprechen konnte. Tsams Haus lag irgendwo inmitten dieses Dorfes, und wenn man genauer diese Häuser betrachtete, erkannte man: keines glich dem anderen. Sie unterschieden sich in An- und Aufbauten, an den Gärten, an den Anordnungen der Fenster – nur das Material war Holz und so bei allen gleich, sonst nichts.
Mark stieg die kleine Treppe hinauf und klopfte laut gegen die Tür, bevor er eintrat und das gewohnte Bild in Tsams Haus sah: die Wohnküche, die den unteren Teil des Hauses beherrschte, war hell erleuchtet. Man legte Wert auf viele große Fenster in Tsams Elternhaus. Hier brannten keine Feuer, und Maraim, der Bruder Tsams, sah ihn und winkte ihn zu sich. »Hallo, Mark. Suchst du Tsam?«
»Ja«, antwortete Mark und setzte sich dem drei Jahre älteren Maraim schräg gegenüber an den Tisch. Einige Krüge hochprozentigen Tropfens standen auf dem Tisch. Maraim bemerkte Marks Interesse daran und grinste. »Er ist nicht hier. Was stierst du denn so auf die Krüge, hä? Juckt dir die Kehle nach was Hartem, hä?«
Mark zuckte die Achseln. »Klar.«
»Dann fass mir mal zwischen die Beine, Kleiner, hahaha!«
»Du bist ein altes Schwein. Wo ist er?«
»Wer. Mein Hartes?«
»Tsam natürlich.«
»Er ist mit den Kindern draußen.«
»Was, zum Teufel, macht er mit den kleinen Kindern?«
»Nicht, was ich mit ihnen machen würde, wenn sie’s nur nicht weitererzählen würden, hahahaha!«
»Hör auf mit deinen Sauereien.«
Maraim lachte laut und krächzend. Jeder Junge oder Mann fand früher oder später ein passendes Mädchen, aber bei ihm war es sicher, dass er niemals eines bekommen würde. 
Was Maraim so abstoßend machte war nicht nur ein Streich der Natur, ihn mit Unansehnlichkeit zu schlagen; es waren seine Anlagen innerer Widerlichkeit, die er stets voll zur Geltung brachte. Er betrank sich bei jeder Gelegenheit maßlos, er war zu laut und zu ordinär; man nahm ihn als notwendiges Übel im Dorf hin. Er trug nur schmutzige Sachen und hielt nichts von Sauberkeit.
Man sah ihm gehörige Schmierigkeit an, und so vermied es jeder, allzu sehr in seiner Nähe zu sein.
»Er betreut sie.«
»Er tut was?«
»Ja, du hast richtig gehört. Tsam spielt mit den kleinen Kindern, um sie uns allen vom Leib zu halten.«
»Das wird ihm nicht gefallen.«
»Es stinkt ihm wie die Scheiße eines Gauls. Willst du ’nen Schluck von dem Kram hier?« Er deutete auf die Krüge.
Mark schüttelte den Kopf. »Ich will mich erst heute Abend betrinken.«
»Zum Besaufen ist es nie zu früh. Hier, trink.« Und ehe Mark sich versah, hatte er einen Becher mit dem Schnaps vor sich und spürte die Versuchung.
»Komm schon, Gottkind, sauf den Kack.«
»Wenn es Kack ist, warum soll ich es dann trinken?«
»Weil du dich besaufen willst, du Neunmalklug! Und jetzt runter damit, oder bist du heute Feigling?«
Das reichte, um in Mark Stolz auszulösen. Er nahm den Becher und leerte ihn mit einem Zug. Das Brennen in Mund und Kehle riss ihn fast vom Stuhl. Seine Augen weiteten sich und er hustete heftig. Maraim grölte. »Na, Süßer, noch auf den Beinen?«
Röchelnd erwiderte Mark: »Es geht gerade noch. Scheiße, was ist das nur für ein Zeug?«
»Pure Kacke, habe ich doch schon gesagt. Pure Kacke. Kuhscheiße, frisch aus dem Arsch. Haut rein, was?«
»Du bist und bleibst ein Dreckschwein, Maraim. Ich suche jetzt Tsam. Und du jetzt lass’ mich in Ruhe, du Widerling!«
Er stand auf und ging hinaus, noch immer mit Schwindel und Brennen überall.
Maraim lachte hinter ihm. »Gut gesagt, Kleiner. Werd` s mal versuchen, vielleicht kommt was dabei raus!«
Und Mark schlug einfach die Tür zu.

Am Ufer des Baches sah Mark schon von weiter Ferne eine Schar Kinder verschiedenen Alters, die zwischen den Bäumen und Büschen entlang der Wasserlinie und im Wasser selbst entlang huschten. Sie gaben ihrer Vergnügung offenkundigen Ausdruck. 
Der sanfte Wind trug ihr Geschrei und Gequieke weit über das Land, und es schien, als wären alle Kinder hier versammelt. Sie spielten Fangen und Verstecken, sie ließen flache Steine über das Wasser hüpfen, sie schwammen, sie platschten, sie warfen sich gegenseitig ins Wasser, und besonders die Mädchen mussten es hilflos über sich ergehen lassen, wie sie von den Jungen lange Zeit unter Wasser gedrückt wurden. Wenn sie hochkamen, holten sie tief Luft, japsend und keuchend, ohne die Gelegenheit zu bekommen, außer Keuchen und Strampeln darauf aufmerksam zu machen, dass ihnen diese Behandlung missfiel, denn stets wurden sie sofort wieder unter Wasser gedrückt. Nun, ertrunken war noch niemand, doch hätte Tsam seine Aufgabe ernster genommen, dann hätte er dies wohl gesehen und verhindert. 
Doch nichts interessierte ihn sonderlich. Er lag unter einem Baum und ließ die Götter gute Menschen sein. Mark steuerte auf ihn
zu, ohne von ihm gesehen zu werden. Mark benutzte diesen Vorteil, um sich von hinten anzuschleichen, in beiden Hände Berge von Erde, um sie Tsam von hinten überraschend auf Bauch und ins Gesicht zu werfen.
Tsam schrak mit einem lauten »Iiih« auf und stand sofort. In seinem von der Sonne gebräunten Gesicht, das von schwarzen Haaren umrahmt wurde, spiegelte sich Wut wider, weil er an einen Spaß der ihn nervenden Kinder gedacht hatte. Als in seinem Hirn der Impuls über die Sichtung Marks angekommen war, entspannte er sich ein wenig. »Du warst das?
»Sicher, warum nicht. Ich habe mich an dir für seinen Bruder gerächt.«
»Wieso, was hat er getan?«
»Er hat wieder den üblichen Mist erzählt. Er ist wirklich widerlich. Manchmal wünschte ich, Tirata würde ihm die Beulen an die Eier zaubern.«
Tsam setzte sich wieder unter seinen Baum in den Schatten. 
»Was wolltest du bei uns?«, fragte er.
»Ich habe dich gesucht«, meinte Mark und setze sich dazu. Beiläufig sah er den herumtollenden Kindern zu. »Ich habe nämlich jetzt nichts mehr zu tun, und da dachte ich, du könntest Gesellschaft gebrauchen, wenn du nicht gerade arbeitest.«
»Gut Idee«, sagte Tsam und schloss die Augen.
»Solltest du nicht auf die Kinder aufpassen?«
»Eigentlich schon.«
»Sie ertränken sich gegenseitig.«
»Na hoffentlich. Sie gehen mir auf die Nerven. Ich hätte lieber Holz gehackt.«
»Wieso, du hast es doch hier ganz gut.«
»Klar, weil ich alles vernachlässige. Das ist der Trick an der ganzen Sache. Ich mache mich doch nicht fertig, wenn ich mir für den Abend ein großes Betrinken vorgenommen habe.«
Mark dämpfte seine Stimme. »Tja, das ist so eine Sache. Ich habe mich wirklich darauf gefreut, aber Pepe hat mir für heute verboten, zu trinken. Er hat schlechte Laune wegen der vielen Arbeit und meinte, mich damit ärgern zu müssen.«
Tsams Augen waren mittlerweile geweitet und auf Mark gerichtet. »Was willst du damit sagen?!«
»Dass ich heute Abend nicht mittrinke, Tsam.«
»Was? Nicht mittrinken? Mit wem soll ich denn dann trinken?«
Mark hob kurz die Achseln und entgegnete resigniert: »Es gibt andere als mich. Pepe wird sich bestimmt betrinken. Du kannst es ja mit ihm machen. Oder mit den anderen.«
»He! Die sind doch alle entweder alle zu alt oder zu jung! Du bist der einzige im Dorf in meinem Alter! Ich will mich mit dir betrinken, und mit sonst keinem! Was soll das?«
»Ich habe keine Ahnung.« Mark sah zu Boden. »Frag Pepe. Er ist heute schlechter Laune.«
»Das ist mir doch egal! Was mache ich jetzt? Heute ist das erste Feldfrucht-Fest, an dem ich mich betrinken darf, und ich freue mich schon den ganzen Winter darauf, und ein paar Stunden vorher kommt so was! Das ist nicht gerecht!« Tsam sprang auf. »Wo ist dein Pepe? Ich werde ihm sagen, dass er mir alles versaut, wenn er dich nicht mittrinken lässt!«
Er sah zum Bach herüber, wo ein Junge ein Mädchen pausenlos unter Wasser drückte und sie nur kurz Luft holen ließ.  »He!« brüllte Tsam mit voller Stimmkraft. »Lass sie los, oder ich binde dich unter Wasser an einen Stein! Loslassen, sofort, sage ich!« Er war außer sich, und Mark grinste in den Schatten und sah Tsam von hinten an. Wie erbost Tsam war! Wie aufgeregt! Mark stand auf und ging zu ihm. Kinder rannten um sie herum und zupften an ihnen. »Spielt ihr mit uns Pferd und Reiter? Spielt ihr mit uns Pferd und Reiter? Och bitte, spielt mit uns doch Pferd und Reiter!«
Mark beachtete sie kaum, doch Tsam stieß sie wutentbrannt und grob zur Seite. »Zieht Leine, kleines Kreppzeug!«
Verdutzt über Tsams Wutausbruch wichen die Kleinen zurück und wagten es erst in einigen Metern Entfernung, zaghaft wieder mit ihrer Tollerei zu beginnen.
Mark grinste, legte seinen linken Arm um Tsam, drückte ihn ein wenig an sich und sagte, aufs Wasser blickend: »Weißt du, man sollte nicht alles glauben, was einem der beste Freund aus Spaß erzählt.«
Tsam sagte nichts.
»Es war ein Witz«, gab Mark Nachdruck.
Tsam sah ihn an. »Hast du gerade Witz gesagt?«
Mark sah ihn grinsend an und nickte. »Mmhmm.«
»Du hast mich also angelogen?«
»Mmhmm.«
»Du Drecksack«, rief Tsam und warf Mark zu Boden, setzte sich auf ihn und kitzelte ihn durch, dass Mark japste. »Du mir Lügen erzählen? Na warte, na warte!«
»Hör auf«, versuchte Mark ins Lachen zu sagen, doch er schaffte es mehr schlecht als recht. Tsam hörte nicht auf. 
»Ich will, dass später gesagt wird, dass Tsam seinen besten Freund Mark zu Todes gekitzelt hat, weil er ihm Lügen vor dem Feldfrucht-Fest erzählt hat. Er hat ihm weismachen wollen, dass er nicht mit ihm mittrinken durfte, obwohl sich beide das ganze Jahr auf nichts anderes gefreut hatten wie auf das.«
»Nein! Nein! Hör auf!«
»Nein, ich höre nicht auf. Du kriegst deine Strafe. He, Kinder, kommt her! Wir kitzeln Mark durch! Macht alle mit!«
Mit frenetischen Jubel zogen sich die Kinder zu einer Traube zusammen und fielen über Mark her wie eine brüllende Horde Welpen über die Zitzen ihrer Mutter. Sie alle gaben nach Kräften ihr Bestes, was Mark nicht zugute kam. Er schrie und brüllte unsichtbar unter einer bunten Schar von Kindern und Tsam, der auf ihm saß, und konnte sich nicht wehren, und erst nach einiger Zeit hörte Tsam auf und stand auf. Mark schaffte es dann recht leicht, die Kinder von sich abzufegen wie Staubkörner. Als er stand, war er dreckig, zerzaust und halb nackt. Die Brut hatte ihm im Eifer des Gefechtes das Hemd halb heruntergerissen und die Haare durcheinandergewirbelt. 
Tsam lächelte. »Ich würde mir demnächst überlegen, ob du mir irgendwelche Geschichten erzählst«, meinte er.
Die Traube von Kindern hatte nicht genug und ließ nicht von Mark ab, bis er sie anbrüllte: »Geht spielen!« Wie ein Bienenschwarm huschten die Kinder zurück zum Wasser und machten sich wieder daran, sich gegenseitig zu ertränken.
Mark richtete sein Haar und machte sich daran, sein Hemd wieder in die Hose zu stopfen. Er setzte sich neben Tsam unter einen der Bäume. »Dein Bruder ist ein Widerling. Er ist verdorben von oben bis unten. Er ist …«, Mark fand keinen treffenden Ausdruck.
Tsam starrte in die Leere. »Ja, das ist er. Ich schäme mich, so einen Bruder zu haben. Maraim ist das Letzte. Heute Abend, wenn er richtig betrunken ist, wird er wieder anfangen, zu toben. Das macht er oft.«
»Du kannst heute bei mir schlafen, wenn er wieder gewalttätig werden sollte.«
»Ich glaube, das tue ich auch. Es wird wohl besser sein.« Ein Grinsen umspielte Marks Züge. »Wollen wir uns schon vorab dafür rächen?«
»Wie meinst du das?«
»Na, wir könnten ihm doch einmal einen richtig schönen Denkzettel verpassen dafür, dass er ist, wie er ist, und ist, was er ist.«
»Und wie willst du das anstellen?«
Mark stand auf. »Komm mit. Aber verkneif dir das Lachen.«
Tsam tat, wie ihm geheißen und ging mit Mark zum Bach, dessen Wasser wild durch die Gegend spritzte, da sich die Kinder darin herumwälzten und plantschten. »He, Kinder«, rief Mark, und das ausgelassene Toben verebbte sofort. »Kommt, ich erzähle euch eine Geschichte. Habt ihr Lust?«
Natürlich hatten die Kinder das, und sie machen sich daran, sich eilig im Mark und Tsam zu scharen und erwartungsvoll dreinzublicken. Geschichten, die man sich erzählte, waren immer Ereignisse, und schon früh lernte man, sie zu erzählen; aber nie, sie als Unsinn abzutun.Als die Kinder versammelt waren, bewegte sich Mark unter die Bäume, und wie ein Haufen Ameisen folgten ihm die Kinder und Tsam und ließen sich im Schatten nieder.
Mit einem Mal war es still geworden. Hatte es eben noch den Anschein eines Abenteuerspielplatzes gehabt, so vernahm man nun das ferne Pfeifen der Vögel, das allgegenwärtige Summen der Insekten, das Zirpen, das Quaken, das um sie herum war, und dieses himmlische Adagio betäubte die Anwesenden und machte sie offen für die Geschichten, die vom sanften Rauschen der Blätter im lauen Wind untermalt wurde.
Mark begann mit seiner Geschichte. »Ihr kennt doch alle den widerlichsten Menschen im Dorf, oder? Wer ist es?«
Aus vielen Kinderkehlen kam es gleichzeitig und in allen Tonlagen: »Maraim! Maraim!«
Mark nickte zufrieden. »Richtig. Maraim. Es hat noch nie einen so widerlichen Menschen gegeben, oder?«
»Nein, nein«, riefen die Kinder einhellig, und auch die Größeren unter ihnen, die begannen, wie Pflanzen zu sprießen, schüttelten eifrig den Kopf.
Tsam saß da und überlegte, was er tun sollte. Jeder wusste, dass Maraim sein Bruder war, und nun hatte er Furcht, dass etwas auf ihn zurückfiel.
»Findet ihr, Tsam hätte so einen Bruder wie Maraim verdient?«
Kollektives, lautstarkes Verneinen.
»Findest ihr, Maraim könnte überhaupt Tsams Bruder sein?«
Da war die Verneinung nicht mehr so einhellig.
Mark riss die Augen weit auf und wartete auf ein lautes Rauschen der Blätter, mit dem er leise und fast flüsternd in den Wind hauchte: »Er ist gar nicht Tsams Bruder.«
Die Kinder erschraken, und Tsam am meisten. Er sah nicht minder verblüfft Mark an, auf den so viele große Augen und offene Münder gerichtet waren.
»Wisst ihr, das ist ein großes Geheimnis. Maraim ist nicht mal ein richtiger Mensch. Seht ihn euch doch an, diesen Widerling. Und riecht er wie ein Mensch?«
Kopfschütteln.
»Er stinkt doch fürchterlich, oder?«
Kopfnicken.
»Es war vor vielen Jahren, als noch niemand von uns lebte. Da kam ein Mensch von weither, und niemand kannte ihn.« So einfach dies ausgesprochen war, so unvorstellbar war es. Die Welt war das Dorf, mit dem, was darum zu sehen war, aber hinter dem Wald, hinter den Bergen hörte die Welt auf, das wusste man. Dahinter gab es nichts, auch keine Menschen. Und woher sollten sie sonst kommen, als aus der Corrin-Höhle?
»Dieser Mensch kam ins Dorf und wollte hier leben. Aber er war dumm. Zu dumm zum Säen, zu dumm zum Ernten, zu dumm zum Schlachten. Er konnte nicht mal Wasser holen, selbst dazu war er zu dumm.«
Kichern fraß sich durch die Gemeinde.
»Niemand hatte jemals einen solch dummen Menschen gesehen, und auch nie einen so hässlichen. Er hatte überall am Körper dicke Beulen, die gelb, grün und blau waren.«
Ekel verzog die Gesichter der Zuhörer.
»Aus diesen Beulen kam Eiter, der furchtbar stank.«
Nun gaben die Zuhörer ihrem Ekel verbal Ausdruck.
»Niemand wollte ihn haben, weil er aus dem Mund stank und Eiter versprühte. Niemand konnte ihn ansehen, ohne dass einem schlecht wurde. Er hatte sich in ein Mädchen verliebt, dazu war er nicht zu dumm. Aber das Mädchen wollte ihn nicht. Weil er auch immer kotzen musste.«
Bähs und Böhs machten die Runde, und Tsam senkte den Kopf, um sein Lachen zu verbergen.
»Ja, dieser Fremde war wirklich ein hässlicher Kerl. Nun, es kam der Tag, an dem die Leute im Dorf ihn nicht mehr länger bei sich haben wollten. Er ging ihnen auf die Nerven, und sie wollten endlich wieder frische Luft atmen. Sie prügelten ihn aus dem Dorf. Er lief, so schnell ihn seine fetten Beine trugen, und als er weit genug fort war, ließ man ihn in Ruhe. Man meinte, endlich Ruhe vor ihm zu haben. Aber falsch gedacht. Er schlich sich wieder ans Dorf heran und wartete. Was er nicht wusste, war, dass er so unerträglich stank, dass man ihm im Dorf roch. Und die Männer wussten, was sie zu tun hatten. Sie schlichen sich eines Nachts zu ihm. Er war ungefähr hier, wo wir jetzt sind.«
Erstaunte Blicke huschten über die Landschaft, und Mark und Tsam merkten, dass vor den geistigen Augen der Kinder der hässliche, stinkende Fremde auftauchte.
»Sie warfen ihn ins Wasser, als er schlief, und er fiel nicht nur ins Wasser, er fiel auch in Schlamm und Kacke, in Berge aus Schlamm und Kacke. Er verfing sich darin, und aus lauter Angst machte er sich in die Hose. Er riss sich im Wasser die Hose runter, die Frösche behüpften ihn. Und die Kacke aus seiner Hose vermischte sich mit dem dem Schlamm und der Kacke. Der Mann lief davon und wurde nie wieder gesehen. Aber seine Kacke schwamm im Wasser. Lange war es still im Dorf, aber irgendwann kam eine andere Gestalt – es war Maraim! Er war eine Mischung aus dem Schlamm und der Kacke des grässlichen Fremden. Er ist kein Mensch. Er ist eigentlich nur Abfall. Stimmt doch, oder?«
»Ja, ja«, riefen die Kinder, und Tsam lachte lauthals, weil er die Beschreibung und die ganze Geschichte so komisch und treffend fand.
Mark sagte weiter: »Vor ihm muss man keine Angst haben. Oder habt ihr etwa vor Pferdeäpfeln Angst?«
»Nein, nein!«
»Also. Wenn ihr ihn aus dem Dorf haben wollt, müsst ihr ihn mit Fröschen und Schlamm aus dem Bach bewerfen, denn davor ekelt er sich maßlos. Bewerft ihn heute beim Fest damit und gebt es ihm zu essen, dann wird er aus dem Dorf verschwinden. Macht ihr das?«
Die Begeisterung für diesen Plan war ausufernd, und sogleich machten sich die Kinder des Dorfes mit Ausnahme derer, die ihren Eltern hatten helfen wollen oder müssen – darunter auch Jessica – daran, den Bach und das Ufer nach Fröschen abzusuchen, und es gab genug davon. Im Bach fanden sie massenhaft Schlamm, und sie legten alles in Eimer.
Maraim sollte am Abend die Rache der Kinder zu spüren bekommen.

Nach getaner und schwerer Arbeit setzte sich Lorn in seine Wohnküche. Er musste ein wenig ausruhen, und das hatte er sich auch verdient. Das Licht der Sonne flutete durch die Fenster, und es war angenehm kühl. Die Luft roch holzig, und es war nur eine Frage der Zeit, bis das Haus sich mit Hitze aufgeladen hatte. Für jeden Mann im Dorf war jedes Fest mit Alkohol ein wahres Fest. Es war eine gute Angelegenheit, sich einen hinter die Binde zu kippen und um berauscht zu tanzen ebenfalls. Das Fest konnte nur gut werden, denn es gab da nichts, was irgend jemandem das Fest hätte vergällen können.
Es klopfte an der Tür.
»Ja«, sagte er lapidar, ohne sich umzusehen. Er vernahm Schritte und eine männliche Stimme, die sagte: »Tag, Lorn. Mit der Arbeit fertig?«
Lorn hörte schon an der Stimme, dass es Alkon war, der da hineinkam und schließlich in seine Sicht trat, um sich vor ihn zu setze. Der Besucher, etwa so alt wie Lorn, brachte einen Schwall Frischluft mit sich.
»So ziemlich«, entgegnete Lorn. »Es gibt noch einiges zu tun, aber das ist nicht so eilig. Ich habe mich erst mal hingesetzt.«
»Das gönne ich dir, wenn ich bedenke, was ich noch alles zu tun habe …«
»Ach, und du ruhst dich auch bei mir ein wenig aus?«
»Eigentlich nicht.« Alkon schürzte die Lippen.
»Was ist denn los?«, fragte Lorn leicht verunsichert.
»Nun, wir haben beraten, und du bist es diesmal, der Tirata einlädt und abholt.«
Lorn erstarrte. »Was, ich?«
»Es war eine gerechte Entscheidung. Jeder muss einmal gehen, und du hast nun das richtige Alter. Es ist ja auch nur ein Mal.«
»O, nein, ich …«
»Du musst ihr doch nur Bescheid geben. Du musst nicht einmal zu ihr hinein. Rufe es am besten durch die Tür, nachdem du angeklopft hast.«
»Das … das … schaffe ich nicht.«
Jessica kam mit einem Eimer voll Schlamm hereingestürmt. »Hallo, Pepe«, rief sie und stellte den Eimer in eine Ecke. Sie war heilfroh, dass Lorn nicht fragte, was in dem Eimer war.
»Warum war ich nicht dabei?«, wollte Lorn wissen.
»Na, na, das hört sich sehr nach Misstrauen an, Lorn. Meinst du, man will dir was Böses? Jeder muss es einmal tun, und diesmal hat man dich gewählt. Ganz einfach. Warum sollte es dich nicht treffen?«
»Jaja, du hast ja recht, aber …« Er schluckte schwer, und Jessica kam zu ihm. »Was ist denn, Pepe?«
»Dein Pepe muss zu Tirata, um sie zum Fest abzuholen.«
Begeisterung keimte in ihr auf. »Ich komme mit, Pepe!«
»Nein, Jessica, nein. Du bleibst schön hier.«
»Och, Pepe. Was soll sie denn tun? Uns fressen? Oder frisst sie nur kleine Mädchen?«
»Jessica, bitte.«
»Was soll das? Lass sie doch mitgehen.«
Und so blieb Lorn noch ein wenig sitzen, um seinen Mut zu sammeln.

„Der Wind von Irgendwo geht weiter mit Kapitel 3: Bei Tirata

Ankündigung: Veröffentlichung einer Auswahl meiner Story im Blog

Meine Story »Im Schweigen« machte letzte Woche den Anfang – da kommt nun mehr:
In loser Reihenfolge stelle ich künftig mittwochs eine Kurzgeschichte bzw. Erzählung in meinen Blog. Damit möchte ich die Gelegenheit nutzen, auch eine andere Seite von mir zu präsentieren, die mir wichtig war und ist. 

Deshalb wird es hier bislang unveröffentlichte, teils neue Geschichten geben wie »Mia wacht auf« und »Der Hund«.

Aber auch Geschichten, die über die Jahre entstanden sind, in denen ich ausschließlich Texte über das wahre Leben schrieb: Oft bitterernst, teilweise sogar schockierend. Dabei sind Geschichten entstanden, die zu echten »Evergreens« geworden sind – auf zahlreichen Lesungen gelesen, teilweise in Anthologien der Literatenrunde e. V. entstanden, einem Karlsruher Zusammenschluss engagierter Autorinnen und Autoren, der ich einige Jahre angehört habe.
Die Texte, die ich nun auswähle, zeigen meinen Hang zum Realismus und meine Beschäftigung mit Themen des Alltags, die manchmal auch herausfordernd sind – wie meine Geschichte »Sag mir, wer du bist«, die bei Lesungen oft starke Emotionen hervorrief, und die ich natürlich auch hier veröffentlichen werde. Auch »Mach schon«, »Entdeckung« und »Erwartung« werden ihren Weg in den Blog finden.

Natürlich sollen auch witzige, ironische und krasse Texte nicht fehlen, wie die Satire »Künstlertapeten« oder »Das Ähm in M’s Garten in der Nähe von Emsdetten«. 

Manche Geschichten habe ich bereits im Blog veröffentlicht, allerdings als reine eBook-Versionen zum Download – sie erscheinen nun erneut für alle ohne Zusatzgerät und Software lesbar, wie die Satire »Inventar« oder die kuriosen Geschichten »Spanplatte weiß« und »Ins Nirgendwo«.

Diese Geschichten erscheinen deshalb immer Mittwoch, weil ich den Sonntag für die kapitelweise Veröffentlichung meines Mystery-Romans »Der Wind von Irgendwo« reserviert habe und Donnertags Filmkritiken in meinem Filmblog »Der Filmgourmet« veröffentliche. 

Die Geschichten haben eine große, thematische und stilistische Bandbreite – immerhin sind sie auch in einem Zeitraum von über 20 Jahren entstanden. »Mia wacht auf«, »Der Hund« sowie »Das Ähm in M’s Garten in der Nähe von Emsdetten« sind eher phantastisch, »Inventar«, »Künstlertapeten« und »Mordsdiät« Satiren mit teils krassen Mitteln, während andere Geschichten aus dem Leben sind.

Die Cover stammen allesamt von mir selbst – es ist mir wichtig, nicht auf freies Bildmaterial zurückgreifen zu müssen, zumal sich auch nicht immer ein wirklich passendes Motiv finden lässt. Ich schätze die damit verbundene Kreativität, und da die Motive von mir selbst stammen, habe ich auch nichts zu befürchten. Ich bin selbst kein Designer, deshalb bitte ich Grafiker davon abzusehen, beim Anblick der aus ihrer Sicht wahrscheinlich unsauberen und unperfekten Coverbilder ohnmächtig zu werden. Da sie lediglich als Vorschaubilder der eigentlichen Geschichte dienen, muss man aus meiner Sicht auch keine Raketenwissenschaft daraus machen.

Ich hoffe, die Texte, so unterschiedlich sie sind, gefallen euch – als nächste Geschichte werde ich „Sag mir, wer du bist“ veröffentlichen.

Der Wind von Irgendwo – Kapitel 1: Am Tag vor der großen Schuld komplett lesen

Mystery-Roman von Oliver Koch

Inhaltsangabe und Kapitelübersicht

Der längste Tag des Jahres begann ruhig. Dabei würde es später noch hoch hergehen. Irgendwann zwischen Nacht und Morgen entzündete sich ein Funke und ließ das Dorf erwachen. Nicht, dass alle nachts geschlafen hätten – denn heute war der längste Tag des Jahres und damit der Tag des Feldfrucht-Fests. Heute würden sie alle Gaben feiern, die die Natur ihnen in diesem Jahr geschenkt hatte und noch schenken würde. Jedes Jahr war das ganze Dorf rund um das Feldfrucht-Fest außer Rand und Band, denn alle freuten sich auf einen Tag und eine Nacht voller Musik, Tanz, Schlemmen und Trinken. 

Deshalb weckte der Funke dieses besonderen Tages nicht alle – denn viele hatten die ganze Nacht hindurch für das Fest geschuftet oder hatten vor Aufregung nicht schlafen können. 

Für diesen Höhepunkt des Jahres war keine Mühe zu groß, keine Arbeit zu schwer. 

Im jungen Licht des aufstrebenden Tages, das sich langsam in Dunkel fraß, verhüllten die Dinge noch weitgehend ihre Farben. Die Wiesen und Felder rings um das Dorf waren nicht mehr als eine Ebene, die westwärts bis zur großen Bergkette reichte, in deren Nähe sich noch nie jemand gewagt hatte – diese Bergkette dort, wie viele Stunden oder Tage Fußweg sie auch entfernt sein mochte, brach die Ebene, und was in den Wäldern dort oben vor sich gehen mochte, war ein Geheimnis. Niemand wollte das wecken, was dort leben mochte, von der schrecklichen Höhle ganz zu schweigen. Die Corrin-Höhle, von der man sich Grauenhaftes erzählte. Wenn abends die Feuer in der Dorfmitte flackerten oder bei Regen in der großen Scheune, gingen die Schreckgestalten der Corrin-Höhle von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr – niemand würde je dorthin gehen, dazu war ihnen das eigene Leben viel zu kostbar. Wenn man schon mit dem Grauen dort leben musste, so wollten sie wenigstens hier bleiben, während der Schrecken in welcher Art auch immer dort bleiben sollte.

Am kommenden Tag und vor allem am Abend und in der Nacht sollten derlei Dinge unerwähnt bleiben, denn es gab ein Fest zu feiern.

Es war der Juniriam, und heute brach der längste Tag des Jahres an. Der Tag, an dem sie alle das jährliche Fest zum Dank für die Feldfrüchte feierten.

Sie hatten eigens dafür Vorräte über den Winter gehortet, um das Festbrot zu backen, Trockenobst, Kartoffeln, Räucherfleisch, Alkohol, Äpfel des letzten Jahres und vieles mehr. Ohne das Fest mit all seinem Rausch und seiner Freude würde das Jahr kein Gutes werden. Niemand rührte daher die Vorräte an, die nur darauf warteten, feierlich verspeist und getrunken zu werden.

Es war einmal dieser Morgen, der sich über dieser alten Landschaft entzündete, eine sehr alte Landschaft. Niemand hatte sie je verlassen, niemand war je zum Horizont aufgebrochen. Die weite Ebene mit dem Dorf in der Mitte, um das sich einzelne Bäume und Baumgruppen mit wilden Wiesen und bestellten Feldern spannten, mit Weiden für das Vieh, um die sich Zäune spannten, veränderte sich kaum in einem Menschenleben. Bäume begannen als Schösslinge und reiften heran, Stämme knickten bei Sturm ein, Felder wuchsen zaghaft weiter in die Landschaft hinein, doch abgesehen von derlei Dingen hatte sich seit Urzeiten nichts verändert, so sagte man sich. 

In der Mitte einer großen, wilden Wiese, die noch nie jemand urbar zu machen gewagt hatte und deren Gras hüfthoch wuchs, stand ein einzelner Baum, der größte und älteste von allen einzelnen Bäumen in dieser Welt, die das Dorf umgab. Sein Profil zeigte das einer alten Frau mit wuchtiger Nase. Hierher ging kein Kind allein, und auch nur in Gruppen wagten sie sich mit größtem Unbehagen. Denn niemand hatte die Geschichten über den Baum vergessen, die ihm während seiner Kindheit erzählt worden waren, auch die Ältesten im Dorf hatten sie als Kinder gehört, dessen Frauengesicht seit jeher unverändert geblieben war und das auch die Erwachsenen ängstigte, seit man im Dorf zurückdenken konnte. Und seit man zurückdenken konnte, waren erst vier Häuser hinzugekommen, um weitere Bewohner aufzunehmen – von denen es nur ein paar Dutzend gab. Vor gut einem Menschenleben hatte eine Krankheit zehn Menschen dahingerafft, andere sprachen von zwölf, da war man sich nicht mehr sicher. Damals war zum letzten Mal die Erzählung des Heiligen hervorgeholt worden, die niemand lesen konnte bis auf die Wahrsagerin des Dorfs, die seit Menschengedenken stets ihre Nachfolgerin bestimmte und die als Einzige Dinge wusste, über die alle anderen nicht einmal zu flüstern wagten. 

Das zunehmende Licht hauchte den Dingen langsam ihre Farbe ein, und auch die Pferde auf ihren Koppeln, die langsam erste lange Schatten warfen, begannen zu grasen. 

Der Geruch von gebackenem Teig quoll aus immer mehr Fenstern, und immer häufiger hoben sich Köpfe aus Kissen. Die Geschäftigkeit ließ Böden knarren, erste Worte wurden gewechselt. Zwischen den Kühen draußen saßen melkende Bauern, noch von Müdigkeit ermattet, die heute keinen Schlaf mehr finden würden, obwohl die Nacht lang zu werden versprach wie jedes Jahr. Denn an keinem anderen Tag würden sie so viel schlemmen und trinken, obgleich das Fest des Heiligen mitten im Winter lag, das kaum mehr war als jeder andere Tag im Winter auch. 

In dieser Frühe an diesem Morgen in dieser Zeit erwachten die Eltern von Jessica und Mark. Mark hörte, wie die Eltern aus ihrem Bett stiegen und tat so, als würde er weiter schlafen. Er wusste, dass die Eltern ihn und seine Schwester noch in Ruhe lassen würden, solange ihre Hilfe nicht nötig war. Doch er hatte sich am letzten Abend sehr früh zu Bett gelegt, um am Tag des Festes wohlauf zu sein – vielleicht zu früh, denn kein Schlaf wollte sich mehr einstellen, und so lag er im Bett und sah den Tag durch die dünnen Vorhänge zaghaft anbrechen. Würde auch er aufstehen, wäre dies mit ungeliebter Arbeit verbunden gewesen, und er war schlau genug, lieber seinen Vater die schwere Arbeit erledigen zu lassen. Zudem würde er auch noch Jessica wecken, und sollte das geschehen, würde das Haus unter ihrem Gekichere und Geschwätz erzittern. 

Schließlich war sie mit ihren zehn Jahren sechs Jahre jünger als er, und er vermied, wie man es mir jüngeren Geschwistern tat, möglichst jeden Kontakt mit ihr. Das war allerdings leichter gesagt als getan, denn die Kinder des Dorfes erlebten viel miteinander, und so kam es, dass er mit einigen wenigen gleichaltrigen Freunden eine Schar Kinder in Jessicas Alter mit sich nahm, beziehungsweise umgekehrt. Manchmal spielten sie allesamt miteinander. Manchmal wurden die älteren Jungen zu Bullen, und die Kleinen waren entweder die Opfer, die gefangen werden mussten, oder sie waren die Reiter. In diesem Fall ließen es sich alle Kinder des Dorfes nicht nehmen, der Reiter von Mark oder seines Freundes Tsam zu sein, denn die beiden Jungen waren bei allen im Dorf die beliebtesten. Jeder mochte sie, denn sie waren höflich und zuvorkommend, schlichteten Streitigkeiten unter anderen und nahmen tröstend in die Arme, beziehungsweise strafend in die Mangel. Wenn Mark und Tsam zu Gericht gingen, dann war das triumphal für den, der Recht hatte, katastrophal für den, der es nicht hatte. Große Gemeinheiten wurden nicht selten mit einer Tracht Prügel bestraft. Diese Eigenschaft der Ritter und Rächer machten sie zu den beiden Dreh- und Angelpunkten des ganzen Dorfes. Und Jessica war die Schwester eines dieser beiden; so verwies sie auf ihren Status als Schwester von einem der beiden, und schon hatte sie ihren Vorteil. Es lebte sich gut als Jessica, Schwester von Mark, zumindest besser als Jessica, irgendeine Freundin der Schwester von Mark. Dieser Status hätte Jessica nicht gereicht, wohl aber ihren Freundinnen, die sich damit brüsteten, ihre Freundinnen zu sein. Nur mit ihren Dingen – mit denen hätte nicht einmal der Schöpfer aller Dinge spielen dürfen. 

So entschloss sich also Mark, liegenzubleiben. Er sah einer langen, herrlichen Nacht entgegen, in der er tanzte und den Mädchen an den Haaren zog, obgleich er auch gern etwas anderes mit ihnen tun würde, dessen er sich nicht so ganz sicher war. Manchmal jedenfalls gab es da Regungen in ihm, derer er sich vor Jessica schämte, wenn er bemerkte, dass diese Regungen etwas an ihm wachsen ließen. Er empfand sie bei so Vielem, so viel Merkwürdigem, und er konnte nicht begreifen, warum es geschah, wenn er Mädchen sah oder nur an sie dachte, aber auch, wenn er manchmal da stand und Tsam betrachtete. Das war so merkwürdig, dass er meinte, diese Regungen, sowohl die eine als auch die andere seien nicht normal. Und bevor man ihn zu Tirata, der Wahrsagerin schickte, die ihn wahrscheinlich ausziehen und mit ihren Fingern von oben bis unten berühren und ihm etwas Merkwürdiges raten würde, behielt er diese Dinge lieber zurück und war äußerlich einfach nur der beliebte, geachtete Mark.

Der gestrige Tag hatte einiges gebracht. Schon früh hatte man in Anbetracht des Festes mit der Arbeit aufgehört, schon früh hatte man sich um das große Feuer in der Mitte des Dorfes versammelt, hatte erzählt, phantasiert, zitiert, rezitiert und getrunken, und Mark war früh wie alle anderen zu Bett gegangen, schließlich wollte man feiern. Und zu feiern wusste man im Dorf, denn dann wurde nicht unterschieden zwischen Kindern und Erwachsenen, dann trank jeder Alkohol, wenn einem danach war. Wenn die Kinder es vertrugen, war das gut, wenn nicht, dann eben nicht.

Mark hatte sich viel vorgenommen: Er wollte sich erstmals betrinken, auch wenn er in den letzten Jahren keinen Alkohol gemocht hatte. Wenn aber alle davon schwärmten, wenn es alle taten, die etwas auf sich hielten, dann war es ihm Pflicht, sich endlich mit seinem Freund Tsam zu betrinken, bis die Lichter ausgingen.

So hoffte er, doch noch etwas einschlafen zu können, eine Stunde konnte er sicherlich heraus schinden, denn es war eigentlich noch mitten in der Nacht, und an normalen Tagen hätten erst vor wenigen Minuten die Letzten der Glut des abendlichen Feuers den Rücken gekehrt und wären zu Bett gegangen, zögen sich wahrscheinlich jetzt erst um und röchen ihr Bett, hörten das gleichmäßige Atmen der Schlafenden ringsum, sofern es sie denn gab, und waren trotz allen Vergnügens am Feuer froh, endlich schlafen zu können. 

Mark schloss die Augen und stellte sich den Wind vor, der über die Wiesen strich und das Gras, hoch und dicht und dunkelgrün, zu welligem Wogen brachte, so dass sich die Landschaft zu drei Seiten hin zu einer tiefgrünen, gräsernen See verwandelte, einem Ozean, wie ihn nur der kennt, der einmal durch seine Wellen geschwommen ist.

Mark hatte dies oft getan, und im Geist die Leinwand hinter seinen geschlossenen Lidern betrachtend, sah er diesen Ozean, dessen Fische Hasen und Mäuse, Heuschrecken und fliegende Insekten waren, hörte das Rascheln des Grases, hörte die Schritte Tsams hinter sich, hörte dessen Atem hinter sich, hörte seinen eigenen. Er sah sich auf den Boden fallen und in den Wogen verschwinden, und Tsam sprang über ihn hinweg, da er nicht so schnell hatte anhalten können. Die beiden waren gerade Jessica und ihren Freundinnen fortgelaufen, mit denen sie eigentlich hatten spielen sollen. Aber dann hatten sie es sich anders überlegt, hatten sich angesehen, angegrinst und mit einer unbekannten Art der Gedankenübertragung beschlossen, den Kindern einfach aus den Augen zu laufen. Er und Tsam waren gute Läufer, und so stand es außer Frage, dass sie die anderen abhängen konnten. Manchmal kam der Drang in beiden durch, für sich zu sein, nur sie beide, und wenn dieser Drang kam, dann sprachen sie über so Vieles und Verschiedenes, gingen Richtung Corrin-Höhle, um aus sicherer Entfernung in deren tiefschwarzen, nicht ergründeten, gefährlichen Schlund zu sehen, ohne ihm zu nahe zu kommen; oder sie wagten sich zum Frauenbaum, um so lange unter ihm zu liegen oder auf ihm herumzutollen, bis es dunkel wurde, denn dann kam die mysteriöse Angst vor dem Baum wieder zum Vorschein, oder sie sagten nichts und erfreuten sich an der bloßen Präsenz des anderen. Manchmal lagen sie da, und einer hatte den Kopf auf der Brust des anderen, womit sie sich abwechselten, und so bildeten sie von oben gesehen einen rechten Winkel. Ihre Freundschaft war geradlinig und perfekt und tief und würde bis an ihr Lebensende dauern in tiefster Verbundenheit, bis einer der beiden eines Tages einmal sterben musste. Aber derlei Gedanken kamen ihnen kaum. Über den Tod nachzudenken war es jetzt noch nicht an der Zeit, obwohl der Tod ein allgegenwärtiger Zustand für die beiden war. Im Dorf starben immer wieder die Menschen, sie starben innerhalb ihrer Familie, im gewohnten Bett liegend, um von dem Vertrauten zu etwas anderem Wunderbaren zu gelangen. Er war so selbstverständlich wie der Sonnenuntergang. Man dachte nur über das nach, was man zu sehen vermied.

Die schöne, eingebildete Szenerie ließ ihn in den Nebel des Schlafs gleiten, er spürte, wie seine Glieder wieder schlaffer wurden, wie die Müdigkeit auf ihn herabsank.

Die Farben seines Traums nahmen zu, da rüttelte es an ihm, und seine Decke wurde fortgezogen. Kälte fraß sich in seinen Körper. »Mark«, sagte eine helle Stimme. »Mark, komm, steh auf.«

Es war Jessica, und Mark hätte sie ermorden können. »Lass mich schlafen«, entgegnete er müde und blieb liegen.

»Mark, die Sonne geht gleich auf.«

»Sie geht auch ohne mich auf.«

»Aber wir müssen doch heute bei Sonnenaufgang aufstehen.«

»Dann sieh aus dem Fenster und erschrick die Sonne mit deinem Gesicht, dann verschwindet sie wieder und ich kann weiterschlafen.«

»Du bist gemein, Mark. Von mir aus kannst du den ganzen Tag über liegenbleiben, du bist mir nämlich egal, aber wir sollen jetzt aufstehen.«

»Wenn du nicht gleich verschwunden bist, versohle ich dir den Hintern.«

Das reichte, denn Jessica wusste nur zu gut, was geschah, wenn Mark seine Drohung wahr machte. Er hatte es schon häufiger getan, wenn sie sich wieder einmal zu viel erlaubt hatte.

Mark selbst war dies peinlich, fühlte er sich doch trotz all seiner Naivität stets zu einem Erwachsenen berufen, der sich wie ein solcher zu benehmen hatte. Und das, obwohl er noch längst nicht aus dem Alter heraus war, sich vor den Schatten nicht mehr zu fürchten. 

Die Schauergeschichten, die man sich am Feuer erzählte und für wahr hielt, waren das blanke Grauen, und die merkwürdige Wahrsagerin Tirata hatte schon zu oft von merkwürdigen Gestalten gesprochen, die nachts im Dorf herumliefen. Im Prinzip war er ein Kind, das jedes Märchen glaubte.

Jessica wich zurück und beschloss, ihren Bruder schlafen zu lassen. Sollte er doch verschlafen und sich Ärger einhandeln. Und obgleich sie keine Petze war, würde sie ihn gleich so richtig schlecht machen. Da sie zu jung war, die Schönheit eines gerade erst anbrechenden Tages zu sehen, stieg sie einfach daran vorbei und öffnete die Tür. Überall roch es nach Holz. Sie schlich den Flur entlang, der unheimlich dunkel war und kam schließlich in die Küche, wo ein Feuer brannte. Sie sah ihre Eltern inmitten von Aktivität, sie waren gewaschen und bereiteten das Frühstück zu.

»Mark kommt nicht«, waren ihre ersten Worte.

Ihre Mutter drehte sich um. »O, mein Schatz, hast du gut geschlafen?«

»Mhmmm. Mark kommt nicht.«

»Freust du dich schon auf das Fest heute?«

»Mhmmm. Mark schläft noch.«

Ihre Mutter stellte ihr eine Schale Milch auf den Tisch. 

»Hier, trink, Kleines. Wir haben viel zu tun.«

»Für Mark brauchst du keine Schale hinzustellen, Mama.«

Überall um sie herum war Holz, und die Wärme des Feuers saß in jedem Astloch.

Alles sah aus wie früh am Tag. In den Fenstern sah man Morgenrot, die Mutter trug ein Nachthemd und ihre langen Haare waren noch wirr, ihr vitales Gesicht besaß morgendliche Frische. Der Vater saß mit nacktem Oberkörper im Schein des flackernden Feuers am Tisch und trank seine Milch, die er eben erst frisch gemolken hatte. 

Die Mutter stellte Brot auf den Tisch.

»Du brauchst für Mark gar nicht erst mitzudecken, Mama, er will nämlich noch schlafen.«

Ihre Eltern ignorierten dies von Neuem, und die Mutter deckte trotzdem für ihn.

Jessica sah trotzig auf sein Gedeck und fragte grantig: »Soll ich Mark wecken und ihm sagen, er soll gefälligst hierherkommen?«

»Nein, lass ihn schlafen«, sagte ihr Vater bestimmt.  

So schwieg Jessica. Der Vater sprach weiter, ohne sie zu anzusehen, aber in einem viel weicheren Tonfall: »Er hat eine lange Nacht vor sich, mein Mädchen. Das Feldfrucht- Fest ist ein hohes Fest.«

»Er will sich betrinken.«

»Jeder Mann tut das.«

»Er ist mein Bruder.«

»Und dennoch ein Mann, Jessica. Niemand achtet ihn als Mann mehr als du, oder?«

Sie hielt den Mund und trank trotzig ihre Milch. Eine Zeitlang duldete sie die knisternde Idylle, dann platzte sie heraus: »Ich hoffe doch wohl nicht, dass ich hier etwas tun muss, solange Mark schläft.«

Ihre Mutter setzte sich an den Tisch und lächelte sie an. »Du wolltest mir doch so gerne beim Backen und beim Kochen helfen, Jessica.«

»Ja.«

»Und das kannst du wohl auch, wenn Mark schläft, oder etwa nicht?«

»Die Sonne ist doch schon aufgegangen.«

»Aber er ist müde.«

»Das ist gemein. Er kann schlafen, obwohl er es nicht soll. Ich bin aufgestanden, ganz von alleine, und ich wollte helfen. Mark will nur schlafen.«

»Schluss jetzt, Jessica«, sagte der Vater ruhig. »Ich werde ihn gleich wecken, gut? Er wird Holz hacken für heute Abend. Und er wird gleich mit mir Hasen schlachten. Wenn er wach ist.«

Jessica schwieg unversöhnlich, trank ihre Milch und nahm sich eine Scheibe Brot.

»Nimm Schmalz dazu«, sagte die Mutter, doch Jessica schüttelte den Kopf. »Wenn ich das mache, dann kann ich heute den ganzen Tag kaum etwas essen. Jola hat gesagt, dass es mal eine Frau gegeben hat, die ist an dem vielen Schmalz geplatzt, und die Leute wären gekommen und hätten sich die Fetzen der Frau aufs Brot geschmiert.«

»Ich glaube«, brummte ihr Vater, »ich werde mit Jolas Mutter heute sprechen müssen.«

Zur gleichen Zeit entschied sich Mark schließlich doch, aufzustehen. Es gab nur zwei Alternativen: entweder entstieg er nun dem Bett und war wach, oder er ließ sich aber wieder in den Schlaf fallen und war hundemüde, wenn er geweckt wurde. 

Der Abend sollte zu schön werden, als dass er müde sein wollte. So stand er auf und zog den Vorhang vom Fenster, um den herannahenden Tag zu betrachten. Mark war ein Träumer und Genießer, und daher befähigt, einen tiefen Seufzer auszustoßen. Schade nur, dass er keine Zeit haben sollte, sich dem Morgen hinzugeben. Arbeit wartete auf ihn, und sie sollte ihm nicht gefallen. Doch was machte es. Der Abend würde für alles entschädigen.

Als er gewaschen und angezogen in der Küche erschien, sagte sein Vater: »O, du bist doch schon aufgestanden. Das ist gut. Du musst gleich einiges Holz hacken.«

»Ich weiß, Pepe.«

»Und du musst mir gleich beim Schlachten helfen.«

Ein Schauer des Ekels überkam ihn. »Aber ruf mich bitte erst, wenn sie schon tot sind, ansonsten kann ich mir das nicht ansehen.«

»Du bist ja richtig feige, Mark«, meinte Jessica schnippisch.

»Ein Wort noch, kleines Luder, und ich werfe dich nach dem Schlachten in den Trog mit den Eingeweiden, und du kannst glauben, dass ich das tue.«

Jessica erschrak und nippte an ihrer Milch. 

»Ist gut, Mark.«, meinte der Vater. »Du sollst mir ja nur beim Auseinanderschneiden und Ausnehmen helfen. Töten werde ich sie schon alleine.«

Nach dem Frühstück ging Mark nach draußen, um Holz zu hacken. In der Rechten hielt er eine Axt, als er an die frische Luft kam. 

Es roch herrlich draußen nach Holz, Tau und taunassem Gras. Er hörte die Hühner gackern, und das Rot im Osten hatte einem Hellblau Platz gemacht; das Schwarz der Nacht war nun zurückgedrängt, und die Vögel trauten sich mit ihrem Gezwitscher mehr als eben noch.

Er ging um das Haus herum, wo viel Holz lag, und er griff nach einem großen Klotz. Währenddessen lief ihm Jolio über den Weg, ein älterer Mann, der am abendlichen Feuer häufig verrückte Geschichten zum Besten gab. Man erzählte sich ebensolche über ihn; so sollte er als Reaktion auf den Tod seiner Frau vor vielen Jahren, als es Mark noch nicht gegeben hatte, für mehr als eine Woche in der Corrin-Höhle verschwunden sein, in die sich normalerweise kein Mensch, der sie alle beisammen hatte, hinein traute. Nicht so Jolio. Er war tatsächlich hineingegangen und behauptete sogar, nichts Absonderliches in ihr gefunden zu haben.

»Ach, mein Junge.«, begrüßte er Mark. »Festvorbereitungen, wie, haha.«

»Allerdings, Jolio. Was ist daran so merkwürdig?«

»O, nichts, mein Junge. Mich wundert nur, dass ihr jungen Leute das um diese Uhrzeit so freiwillig tut.«

»Ich tue es nicht freiwillig, Jolio.«, bekannte Mark und zerhieb ein großes Stück Holz.

»Du bist ganz schön kräftig, Mark. Schön kräftig, jaja.«

»Das freut mich.« Mark wünschte sich, dass dieser alte, dürre Schwätzer mit seinen ewig dreckigen Lumpen, die er trug, und seinem löchrigem Hut auf seinem faltenreichen, kaum behaarten Kopf, dessen Mund kaum noch Zähne aufwies, möglichst schnell wieder verschwinden würde. 

»Als ich so alt war wie du, da sollte ich auch immer Holz hacken, mein Junge, aber ja, ich war einfach zu schwach dazu, viel zu schwach, ja. Ich konnte kaum die Axt halten.«

»Wie hast du denn dann deine Frau nach der Hochzeit über die Schwelle getragen Jolio?«

Der alte Mann sah betreten zu Boden, denn die Unverschämtheit hatte ihn getroffen. Dass man die Frau über die Schwelle trug, war eine notwendige Sitte, doch Jolio hatte es damals nicht geschafft, und so hatte man auf diesen Ritus verzichten müssen, sehr zur Blamage seiner Frau.

»Ach, nichts für ungut, Jolio. Was triffst du denn für Vorbereitungen für heute Abend?«

»Ich werde Eier holen, um daraus Eierschaum zu schlagen. Aus Schnepfeneiern. Ich hoffe, ich finde genug.«

»Schnepfeneier?! Igitt!«

»Ach, mein Junge, mein Junge, wenn du wüsstest, wie herrlich die schmecken, jaja, wie herrlich, wie herrlich …« Und so ging der alte Mann sehr zur Erleichterung Marks.

Ende des 1. Kapitels – Der Wind von Irgendwo geht weiter mit Kapitel 2: Der Streich

Mein Mystery-Roman „Der Wind von Irgendwo“ komplett im Blog lesen

Mein Roman „Der Wind von Irgendwo“ entführt uns in das einfache Leben der Menschen in einem Dorf ohne Namen. Umgeben von Wiesen, Weiden und Feldern ist es für die Bewohner der einzige Ort, an dem Menschen leben. 

Alles Unheil beginnt damit, dass die besten Freunde Mark und Tsam beschließen, Tsams verhasstem Bruder Maraim während des großen Feldfruchtfests eine Lektion zu erteilen, die dieser nicht so schnell vergessen soll. Dabei können sie sich auf die Unterstützung der Kinder im Dorf verlassen. Der Streich gelingt – sehr zum Spaß aller Dorfbewohner. 

Doch was als Spaß beginnt, markiert den großen Wendepunkt im Leben aller: Denn der betrunkene Maraim verschwindet und kehrt nicht mehr zurück. Was ist geschehen? Und was droht nun dem Dorf?

Hat sich Maraim mit der seltsamen Gestalt aus einem noch seltsameren Buch verbündet, die in der rätselhaften Corrin-Höhle in der Nähe lebt, und in die niemand je einen Schritt hineinwagen würde? Die allabendlich am Dorffeuer erzählten Geschichten über die Mysterien der Umgebung künden von zahlreichen Schrecken und lassen Böses erahnen. Denn überall um sie herum lauern Gefahren:

Da ist der Frauenbaum unweit des Dorfes in den Feldern und Wiesen, der das Profil eines Frauenkopfes hat, und dem sich niemand zu nähern wagt. 

Und dann ist da die Wahrsagerin Tirata, die in ihrem Haus umgeben von Pappeln abseits der Gemeinschaft lebt. Was weiß sie, was verheimlicht sie, und warum ist so sehr an Marks kleiner Schwester Jessica so interessiert?

Das Dorf fürchtet nun Rache – und alle spüren, wie der Wind von Irgendwo auf sie zukommt. Das Leben im Dorf wird nicht mehr das Gleiche sein, und für Mark und seine Schwester Jessica beginnt ein Aufbruch ins Ungewisse …

Der Roman wird ab kommendem Sonntag, 21. März 2021, kapitelweise in diesem Blog veröffentlicht. Hier geht’s zur Ankündigung

Kapitelübersicht

Kapitel 1: Am Tag vor einer großen Schuld
Kapitel 2: Der Streich 
Kapitel 3: Bei Tirata
Kapitel 4: Maraim und die Frösche
Kapitel 5: Die Last der Schuld
Kapitel 6: Der Himmel weint
Kapitel 7: Ein neuer Tag
Kapitel 8: Jessica bei der Wahrsagerin
Kapitel 9: Am Feuer
Kapitel 10: Beginn einer Odyssee
Kapitel 11: Die Geißel der Angst
Kapitel 12: Gewitternacht
Kapitel 13: Der Frauenbaum
Kapitel 14: Der Mut der Verzweiflung
Kapitel 15: Der Wind von Irgendwo

Ich veröffentliche meinen Mystery-Roman „Der Wind von Irgendwo“ komplett im Blog

Eine lange Reise geht zu Ende: Ab kommendem Sonntag, 21. März 2021, starte ich die Veröffentlichung meines kompletten Mystery-Romans »Der Wind von Irgendwo« hier im Blog – pro Woche je ein Kapitel, 15 Kapitel insgesamt. 

Damit entscheide ich mich bewusst gegen die lange geplante Veröffentlichung als eBook, für die ich bereits ein Cover habe erstellen lassen – übrigens mit dem Pseudonym Sasha Scott, dass ich mir dafür ausgedacht habe.

Warum?
Weil ich es reizvoller finde. Ich finde es persönlicher im Blog und mich reizt die wöchentliche Veröffentlichung. Ich kann und möchte auch Einblicke geben in die Entstehung, die als Kurzgeschichte bereits 1985 (!) begann und 1993/94 zur ersten Romanversion wurde. Ja, es gibt viel zu erzählen über die Entstehungsgeschichte und die Hintergründe: Was war die erste Idee und woher kommt sie? Welche Rolle spielen Soundtracks und Musik? Was hat mich ganz besonders beeinflusst? Und wie kam es, dass ich den Roman 2016 nach so vielen Jahren wieder herausholte, um ihn zu überarbeiten? Wieso habe ich ein Pseudonym gewählt und was steckt überhaupt dahinter?
Genau deshalb eignet sich »Der Wind von Irgendwo« meiner Ansicht nach so gut für eine Veröffentlichung im Blog: Weil ich Roman und Schreibprojekt gleichzeitig vorstellen kann – wie Film mit Bonusmaterial, Making-of und Featurettes auf DVD und Blu-ray.
So wird es mir am meisten Spaß machen – und ich hoffe, den Leserinnen und Lesern auch.

Morgen veröffentliche ich die Inhaltsangabe, die ich als Klappentextes des geplanten eBooks vorgesehen hatte.
 

Ab Sonntag geht’s dann richtig los mit dem 1. Kapitel.

Ich bin gespannt!

Erzählung „Im Schweigen“

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Du sitzt da und schweigst, du hältst dein Glas vor dir fest und schaust verstohlen auf die Spiegelung deines Handys, während ich rede. Machst du es dir damit einfach? Oder bist du einfach nur sprachlos?
Stopp. Ich müsste mal die Klappe halten, Luft holen, einen Schluck trinken, mal sehen, was geschieht. Ich trinke, halte mein Glas weiter umfasst und warte. Auf Antwort. Auf Reaktion. Auf irgendwas.
Die Redepause nutzt du zu einem Schluck aus deinem Glas, und da kommt der Lärm von denen, die hier sitzen, stehen, trinken, essen, reden, lachen, kichern, diskutieren und schwatzen, lästern, schimpfen, sich anvertrauen, aufs Klo gehen, vom Klo zurückkehren, die Bedienungen bahnen sich ihren Weg wie tänzelnde Eisbrecher durch die Menschen, all das spritzt Gischt um uns, die wir zwei schweigende Felsen sind in einem Meer der Bewegung und des Lärms, während ich sitze und warte, während du nochmals einen Schluck aus deinem Glas nimmst. Du stellst dein Glas ab, während ich im Schwall der Worte um uns und warte.
Siehst du einem inneren Film zu? Oder starrst du einfach nur ins Nichts? Wir sind am Ende, habe ich gesagt. Es sei bedauerlich, aber verständlich, klar und in Ordnung so weit.
In Ordnung? Nichts ist in Ordnung! Aber ich kann das Rad nicht zurückdrehen, nichts wird ungeschehen sein, wie sehr ich es mir auch wünsche. Ich habe nun aufgehört zu kämpfen. Das Leben schmerzt nur solange, wie man es vergeblich zu ändern versucht. Wer aufhört, es ändern zu wollen, beginnt eine sanfte Reise auf dem Ozean der Ruhe und Stille mit dem Schiff namens Gelassenheit. Loslassen ist Befreiung.
Das Schweigen wird lang. Um uns trudelt die Welt durch ihre Bestimmung und hat mit uns nichts zu tun. Warum sagst du nichts?In meinen Därmen sprudelt die Quelle der Unruhe und im Gewirr meines Hirns beginnt das Verlangen nach Gewissheit zu sprudeln, ob ich Recht habe oder nicht. 
Wir sind am Ende, habe ich gesagt. Stein für Stein hab ich die Mauer aufgebaut, um den Schmerz fern zu halten, und habe versucht, es mir dahinter gemütlich zu machen, doch nun stelle ich fest, dass ich mich durch dein Aussperren eingesperrt habe.
An einem der anderen Tische, drei Meter links von mir, in der heimeligen Ecke dort, sitzt eine junge Frau, die ebenso wartet wie ich. Der Stuhl ihr gegenüber ist leer, ihr Blick gleitet, ohne haften zu bleiben, ihre braunen Haare fallen in Locken über die Schultern, und trotz der Entfernung und des dämmrigen Lichts, das allen Kneipen zu eigen ist, da sie der Privatheit gedimmter Schummrigkeit bedürfen, trotz dieses Lichts also, das in seiner Gemütlichkeit heischenden Trübe die Farben aller Dinge in stimmungsvolles Grau zieht, erkenne ich Dutzende Sommersprossen auf ihren Wangen und Nasenflügeln. Mit großen braunen Augen betrachtet sie immer wieder ihr Handy auf dem Tisch in der Hoffnung, eine Nachricht möge kommen, die nicht kommt. Sie wartet wie ich im Stimmentosen. Sicher ist sie traurig. Ich denke mir, dass ihr bewusst ist, dass aus anfänglichem Wartenlassen, diesem Gewebe aus Langweile und Hoffnung, ein Sitzenbleiben geworden ist, eine Säure, die im Magen eines Riesen schwappt, der sie nun zu verdauen beginnt. Mit solch einem Ausgang kann sie nicht gerechnet haben, sonst wäre sie nicht hier. Hat mit Aufmerksamkeit gerechnet, sich Wichtigkeit gegeben, über die letztlich nur der Andere entscheidet – doch niemand kommt. 
Ich sehe dich an und versuche zu deuten, was ich sehe. Die Tischplatte zwischen uns, auf der unsere Gläser stehen und unsere stummen Handys liegen, trennt Universen, wer hätte das gedacht!
Wir sind am Ende, habe ich gesagt, aber nur weil ich es sagte, muss ich es doch nicht wollen! Du warst mir nahe wie ein Zahn – lange Jahre ein Teil von mir, bis die Fäulnis einsetzte, warum auch immer, und nun bist du herausgerissen aus mir, die Wunde mag verheilen irgendwann, aber die Lücke wird immer bleiben.
Du schweigst, ich warte. Ich sehe dich an und wünsche mir, dein Blick ins Nirgendwo fände dort Antwort und Lösung, wünsche mir, dass du auf den großen Fang wartest, aber Hoffnung, was ist das schon, was ist es mehr als nur ein Wort, das nur Erlösung oder Vernichtung bringen kann, das uns im Dunkel unserer Wünsche und Neigungen tappen lässt, verstrickt im Außen, dem es Spaß macht, geliebt, begehrt, verehrt zu werden, dessen sadistische Befriedigung sich nur in Vorenthaltung oder Fortreißen zeigen kann, Hoffnung, diese Zersetzung, die mein Herz zerfrisst, denn ich will nur, dass du sagst, wie sehr ich im Unrecht bin, ich will, dass du mich dazu bringst, mich bei dir für meine Worte und Meinung entschuldigen zu müssen, sag was, ein Wort von mir aus nur, oder wenigstens zeig eine Geste, einen Blick, der mir zeigt, dass ich mich irre, bitte!
Themenblöcke werden zu Sand zerrieben, Jahre rieseln von uns herab. Wortlos blickst du blicklos durch den Tisch, auf dein Getränk, drehst versonnen dein Glas, und ich warte noch immer, auch wenn nun die Gewissheit Überhand gewinnt, dass alles gesagt worden ist.
Wir sind am Ende, habe ich gesagt, und habe das gesagt,  was dir längst klar gewesen ist. Wir sind am Ende, habe ich gesagt, damit du es nicht zuerst sagen konntest, aber du hättest es nie gesagt. Nicht, weil du es nicht hättest wahrhaben wollen, sondern weil ich es längst hätte wissen müssen. Meine Worte waren ein Luftschnappen meiner Eitelkeit, die mich in der Illusion wiegen sollte, es wäre meine wohlüberlegte Entscheidung gewesen, das Wohlfühlprogramm in Zeiten des Unwohlseins, das nur mit Verblendung funktioniert.
Hinten in der Ecke trifft eine Frau ein, die sich zur Sommersprossigen setzt – das war es dann mit Sitzenlassen, das doch nur ein Wartenlassen war. Das war es dann mit Traurigkeit, die sich doch nur an meinem Tisch abspielt und die ich lieber dort drüben als bei mir gesehen hätte. 
Nun bin ich da, wohin ich gehöre: am Ende meiner Einbildungen.
Du schweigst, aber dein Schweigen sagt alles. Es ist egal, ob du nichts zu sagen weißt oder nichts mehr zu sagen hast. Die Tischplatte zwischen uns hackt uns in zwei Regionen, da erscheint die Welt in Regenbogenfarben. In den Prismen meiner Tränen offenbart sich gar das Licht als Täuschung der Sinne, die es uns bequem machen, die uns eine Welt zeigen, die so gar nicht ist, und nur in Momenten wie diesen erkennen wir es.
Wir sind am Ende, habe ich sagt und habe es nicht so gemeint. Ich wollte, dass du es mir ausredest, dass du wütend oder traurig oder sonst was bist, aber dass du wortlos da sitzt, damit habe ich nicht gerechnet. Ich wusste nicht, wie es hätte werden können, aber die Möglichkeit einer Möglichkeit wäre tröstlich gewesen. Ein Ende wie nun ist eine Sackgasse. Sie erzwingt Umkehr und Rückzug.
Wortlos ertaste ich Geld, viel zu viel, und lege es auf den Tisch. In mir ist Beklemmung, die den Verlustschmerz gebiert. Das Ende dieses Weges mündet in das Ende aller Worte. Das Schweigen der Worte ist ein Schweigen der Zukunft. 
So gehe ich, während du weiter schweigst und sich dein Blick in den Spiegelungen deines Handys verliert.

Lesung meiner SF-Story „Der Gärtner von Eden“ beim Sirius City Con in Second Life

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Am 20. Februar 2021 hatte ich wieder einmal die Ehre, an einer ganz besonderen Lesung teilzunehmen: Live in Second Life nämlich – in virtuellen Welten mit Avataren, live im YouTube-Streaming und auch heute noch im YouTube-Kanal der Brennenden Buchstaben zu erleben – im Rahmen des „Sirius City Con“, der am Wochenende des 19. und 20. Februar auf dem Kanal der Brennenden Buchstaben über die virtuelle Bühne ging. Maßgeblich für das Bühnendesign und die Technik hinter den Kulissen waren Karin Hewing, Dorena Verne, Kirsten Riehl, Anachron Young, Kjs Yip und Bernhard Bettschen.

SF-Autor und Preisträger des Deutschen Science-Fiction-Preises 2019 Thorsten Küper hatte erneut geladen, und wir sind alle gerne gekommen. 
Diese besondere Veranstaltung versammelte Autorinnen und Autoren, die in verschiedenen SF-Anthologien des Verlags für Modernde Phantastik (Modernphantastik) veröffentlicht haben.

Bereits am Vortag, Freitag den 19. Februar 2021 ging es mit Teil 1 los, den es hier in voller Länge zu hören und zu sehen gibt. Hier lasen Kornelia Schmid, Ellen Norten (mit Co-Leser Thorsten Küper) und Galax Giordano

Für meinen Beitrag „Der Gärtner von Eden“ aus der Anthologie „2101 – Was aus uns wurde“ wurde eine virtuelle Gartenumgebung geschaffen, von der ich noch immer sehr begeistert bin. Auch davon, dass nach drei Stunden noch immer genug Publikum geneigt war, mir und meiner Geschichte zuzuhören. Ab 3:03 (Stunden, nicht Minuten) geht es los mit meinem virtuellen Auftritt, für den ich mich immer wieder herzlich bedanken muss. 

Vor mir lasen Maike Braun, Lara Möller, Roland Rosenbauer, Stefan Junghanns sowie Axel Aldenhoven – alle sind in voller Länge in diesem Video zu erleben. 

SF-Anthologie „Singularitätsebenen“ mit meiner Story „Attacke“ erschienen

Ich freue mich natürlich jedes Mal, wenn eine neue Anthologie mit einer Story von mir erscheint – so ist es mir nun Freude und auch Ehre, in der brandaktuellen SF-Anthologie „Singularitätsebenen:2021 Collection of Science Fiction Stories “ aus dem wunderbaren VMPG Verlag für moderne Phantastik Gehrke mit meiner Story „Attacke“ vertreten sein zu dürfen. Die Vielen Dank auch diesmal an Peggy und Rico Gehrke, die mir schon seit Jahren eine feste Heimat für meine SF-Stories bieten. Die Anthologie ist ab 5. März 2021 als eBook erhältlich.

In „Attacke“ geht es um genau das: Eine Attacke. Darin stehen sich Menschen und Niprisi, eine außerirdische Zivilisation, gegenüber. Wir folgen dem Protagonisten Stanley in die gnadenlose Schlacht, in der um Leben und Tod geht. Um ihn herum tobt der Kampf mit Waffen, überall gibt es Tote, wir sehen alle Brutalitäten des Krieges. Wer wird gewinnen, wer wird überleben?
Es geht hoch her in der recht kurzen Story. 

Natürlich ist meine Story nur eine einzige von insgesamt 30 Geschichten – und erst die machen die neue Anthologie erst richtig lesenswert. Viele begleiten mich schon seit Längerem, manche sind für mich neu dabei, und das ist gut so: Es ist schön, neue Namen zu lesen. Meine geschätzten Mitstreiterinnen und Mittreiter sind dieses Mal: se Stephan BecherStefan Lochner, Anja N. Schatz, Dimitrios Kasprzyk, Peter Kietz, Tobias Lagemann, Paul Hanneder, Kornelia SchmidGalax Acheronian, Tamara Snow, Nob Sheperd, Jacqueline Montemurri,  Andrea Bannert, Thomas Laddach, Frank LauenrothAxel Kruse,  Lara Möller,  Ellen Norton, Amandara M. Schulzke, Susann Tittes (Tessa Maelle), Schlomo Gross,  Roland Rosenbauer, Oliver Miller,  Nele Sickel,  Olaf LahayneAchim Stößer, Stefan Junghanns, Christian Künne, Sybille Lengauer.

Viel Spaß beim Lesen!nthA

 

 

Meine SF-Novelle Jäger und Beute frei und komplett lesen

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Was wird aus den Menschen, nachdem die Klimakatastrophe die Welt ins Chaos gestürzt hat? Der Ausblick, den ich in meiner postapokalyptischen SF-Novelle Jäger und Beute gebe, ist düster und brutal – und komplett frei lesbar in der Buch-Vorschau der Anthologie 2101 – Was aus uns wurde bei Amazon  Einfach in jedem Browser ohne Amazon-Konto oder Kindle.  

Mit Jäger und Beute machte ich mich erstmals in die Postapokalypse auf: Ich schrieb die Novelle für die Post-Climate-Anthologie 2101: Was aus uns wurde aus dem Verlag Moderne Phantasik Gehrke, der bereits zahlreiche meiner SF-Stories in diversen Anthologien veröffentlich hat.

2101: Was aus uns wurde ist aktuell als eBook zu haben, die Printversion erscheint wie gewohnt zu einem späteren Zeitpunkt. 

Darum geht’s in Jäger und Beute:

Carl lebt in einer notdürftigen Siedlung inmitten der Hitze und Dürre und wartet sehnlichst auf den Besuch des namenlosen Jägers, der ihn nach seinem erfolgreichen Beutezug in der Öde wie immer besuchen wird. Carl und der Jäger teilen ein Geheimnis miteinander, das Carl das Überleben sichert – dass er dabei dem Jäger verfallen ist und sich nach dessen Liebe sehnt, bringt ihn gleichzeitig immer wieder in tödliche Gefahr.

Die besondere Beziehung zwischen Carl und dem Jäger, der sehr wohl von Carls Liebe weiß, wird auf eine besondere Probe gestellt. Denn etwas geschieht, mit dem keiner gerechnet hat. Wer ist hier Jäger und wer ist Beute? Die Trennlinie verschwimmt im Verlauf der Geschichte immer mehr. Wo bleiben in einer solchen Welt Moral und Menschlichkeit?

Hier haben wir es mit Menschen zu tun, die sich den gegebenen Situationen anpassen, auch wenn sie sich dabei selbst verleugnen oder verraten. Mein dunkler Entwurf einer postapokalyptischen Welt ist zwar schrecklich und blutig, aber nicht ohne Hoffnung und Gefühle. 

Dabei ist Jäger und Beute auch eindeutig aktuell und politisch geworden – vielleicht ist es sogar meine bislang politischste Story.

Viel Spaß oder gute Unterhaltung zu wünschen wäre bei diesem Text eher unpassend. So hoffe ich einfach, dass die Geschichte in ihrer Grausamkeit, Zartheit und Implikation zumindest gefällt. Hier geht’s zu kostenlosen Buchvorschau von 2101 – Was aus uns wurde mit der kompletten Story Jäger und Beute – dazu einfach auf Blick ins Buch klicken. Man muss weder Kunde bei Amazon sein, noch muss man einen Kindle oder einen anderen Reader besitzen. Die Vorschau mit der kompletten Geschichte ist mit jedem gängigen Browser lesbar. 

SF-Anthologie »2101 – Was aus uns wurde« mit 3 meiner Stories erschienen

Über die Anthologie »2101 – Was aus uns wurde« aus dem Verlag VMPG Verlag für moderne Phantastik Gehrte freue ich mich besonders. Erstmals konnte ich gleich 3 meiner SF-Stories besteuern:

»Jäger und Beute«
Meine erste Story mit postapokalyptischem Setting habe ich extra für diese Anthologie geschrieben und ist die längste der drei Geschichten. Sie ist als Auftakt der Anthologie zudem in voller Länge frei in der Amazon-Vorschau lesbar.

Die kürzeste Story ist »Friedensangebot« und mit nur einem Protagonisten ein stiller Ausblick in eine Welt, die sich den Lesenden erst ganz zum Schluss offenbart.

»Der Gärtner von Eden« habe ich für Lesungsreihe Fiction Monday des Karlsruher KOHI Kulturraum geschrieben und dort sowie in Stuttgart live gelesen. Hier geht es um einen ganz besonderes Garten in einem ganz besonderen Eden.

Erschienen ist die Anthologie zunächst als eBook und vereint erneut zahlreiche Mitstreiterinnen und Mitstreiter der deutschsprachigen Science Fiction:

Nele SickelFrank LauenrothAxel KruseSybille LengauerNobert FiksGalax AcheronianAchim StößerMaike BraunRico GehrkeStephan Becher – Johann Seidl – Gundel Steigenerger – Sebastian Bach – Olaf LahayneElisabeth Marienhagen – Tobias Lagemann – Annie Waye – Nob Sheperd – Stefan JunghannsAxel AldenhovenFriedhelm SchneidewindAndrea Bannert – F. Anderson – Roland Rosenbauer – Jaana Reflower – Sebastian Görlitzer.

Am Tag nach dem Erscheinen des eBooks kletterte die Anthologie sofort auf Platz 1 der Kurzgeschichten-Charts bei Amazon. „Wow“ war meine Reaktion darauf, als ich es erfuhr. 

Ich freue mich sehr, dabei sein zu dürfen. 

Meine Online-Streaming-Lesung für KOHI:Digital auf YouTube

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Eine eigene Online-Lesung im Livestream war auch für mich eine Premiere – umso mehr freute ich mich darüber, vom den Karlsruher Kulturverein KOHI dazu eingeladen zu werden. Da der Verein wie alle anderen Kulturbetriebe und -einrichtungen während der Corona-Zeit zwangsweise geschlossen hatten, entschied man sich kurzerhand zu KOHI:Digital. Dank dieses neuen Angebots liefert das KOHI via Streaming Musik, Literatur und Shows direkt nach Hause.
So war ich am Montag, den 25. Mai 2020 an der Reihe und las – moderiert von Autorin und Lektorin Simona Turini – zwei meiner SF-Erzählungen. Live und einfach von meinem heimischen Schreibtisch aus, an dem die Texte auch entstanden. Den Anfang machte Fehler im System aus der Science-Fiction-Anthologie Im Licht von Orion aus dem Verlag Modernphantastik, gefolgt von König Kunde aus der Anthologie Rebellion um Sirius City aus dem gleichen Verlag. Zu guter Letzt durfte ich noch einen kleinen Teil aus meiner SF-Novelle Wenn Sarah in den Keller ging lesen, der in der SF-Anthologie Krieg der Mondvölker erschien und in leicht gekürzter Version auch auf TOR Online erschien.

So kamen letztlich über eine Stunde eigene Lesung zusammen, die mir sehr viel Freude gemacht hat und die es auf YouTube in voller Länge zu sehen gibt.

Meine Story "Neuland" im Magazin c't, Ausgabe 11/2020

Wer nicht fragt, bleibt dumm, heißt es so schön im Lied der Sendung mit der Maus – weshalb die KI Robert ihrem Schöpfer Dr. Fuller eine einfache Frage stellt: Warum heißt Robert eigentlich Robert und nicht Roberta?

Eine nicht ganz selbstverständliche Frage, wie sich zeigen wird. Aber vielleicht eine, auf die es eine ganz einfache Antwort gibt? Eine, die gerade dem Dr. Fuller nicht so ganz gefallen könnte?

Das kann man im Zeitschriftenhandel nun selbst erfahren – denn meine Story Neuland ist in Ausgabe 11/2020  von c’t Magazin für Computertechnik erschienen. Alternativ natürlich auch in der digitalen Version, die auch über den aktuellen Zeitraum hinweg erhältlich ist.

Darüber freue ich mich natürlich sehr und hoffe, dass sie gefällt. Viel Spaß beim Lesen.

Meine SF-Story "Bleib bei mir" in der Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft" 4/2020

Alles begann auf einem Rudergerät im Fitnessstudio, als mir die Idee zu dieser SF-Story kam. Den Auslöser werde ich hier nicht nennen, weil das ein Hinweis gäbe, um was es in der Geschichte geht.

Fakt ist jedenfalls, dass ich den Sport unterbrach, um mich sofort an die Arbeit zu machen.

Das Resultat ist jetzt deutschlandweit im Zeitschriftenhandel zu haben – ich freue mich sehr, dass Bleib bei mir in der Ausgabe 04/2020 des Wissenschaftsmagazins Spektrum der Wissenschaft in der Rubrik »Futur III« erschienen ist.  Die Ausgabe ist auch dauerhaft als PDF-Download verfügbar.
Bleib bei mir ist damit die erste meiner Geschichten mit einem derart großen potenziellen Publikum.
Ich hoffe sehr, sie gefällt. Viel Spaß beim Lesen. 

Meine SF-Story "König Kunde" in der Anthologie "Rebellion in Sirius City"

Was für ein Cover! Ich liebe das Cover dieser Retro-Anthologie Rebellion  in Sirius City mit SF-Stories, die im Stile der 50er-Jahre geschrieben sind. Allein deshalb freut es mich schon, dass meine SF-Story König Kunde in einer Story-Sammlung mit solch einer tollen Aufmachung erscheint. Da hat der Verlag für Moderne Phantastik aus meiner Sicht ganze Arbeit geleistet. 

Um was es in König Kunde  geht, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, nur so viel: Vor wenigen Jahren wurde das Thema schlagartig besonders aktuell. Zu der Zeit gab es die Geschichte bereits und das Ereignis machte mir klar, dass sie ihre Berechtigung hat, vor allem wegen ihrer satirischen Elemente – oder sind sie zynisch?

Jedenfalls fasste ich die Story noch einmal an und brachte sie in die jetzt veröffentlichte Form. Zuerst als eBook erhältlich, wird es voraussichtlich im Juni 2020 auch die Print-Version geben. Viel Spaß beim Lesen.

Meine SF-Story »Wenn Sarah in den Keller ging« kostenlos bei Tor-online

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Zugegeben, das hat mich gefreut, als ich gefragt wurde, ob ich meine SF-Novelle Wernn Sarah in den Keller ging kostenlos im Fiction-Bereich von tor-online.de, der Website von FISCHER Tor, zur Verfügung stellen würde. Da das natürlich eine tolle Möglichkeit ist, musste man mich nicht zweimal fragen! Meine Aufgabe bestand noch darin, den Originaltext, der in der SF-Anthologie Krieg der Mondvölker im Verlag Modernphantastik erschien, ein wenig zu kürzen. Um das zu erreichen, habe ich hin und wieder etwas gestrafft, hier ein Satz, dort zwei. So ist die Version in der Anthologie letztlich die ungekürzte Fassung.
So bin ich nun in illustrer Gesellschaft mit Dietmar Dath, John Scalzi, Andreas Eschbach, H. P. Lovecraft, Philip Reeve, Markus Heitkamp, Michael Marrak, Jacqueline Montemurri und viele andere mehr. 

Wem der Rahmen gefällt, dem gefällt vielleicht auch meine Story, die es wie gesagt hier kostenlos zu lesen gibt.
Um was es geht?

Sarah ist umgezogen – auf einen neuen Planeten. Doch in ihrem neuen Haus fühlt sie sich überhaupt nicht wohl. Am allerwenigsten im Keller, denn dort begegnen ihr immer diese kleinen gemeinen Kobolde …

Viel Spaß beim Lesen – hier geht’s direkt zur Story.

 

Roman-Tagebuch 5: Darum schreibe ich nun erneut Dickhäuter

Ein eigenes Buch grundlegend zu bearbeiten, ist ein Privileg. Zumindest für mich. Denn es kommt weniger einer Wiedergeburt, als vielmehr einer erneuten Geburt meines Romans gleich. Vor allem, wenn es ein Buch wie mein Dickhäuter ist, das ich vor 18 Jahren geschrieben habe und seither der Ansicht war, es sei fertig. Und nun wieder eintauche und daraus etwas Größeres mache. 

Dieses Privileg ist TestleserInnen zu verdanken, die ich über Twitter und über einen Autorenstammtisch fand. Deren Reaktionen waren bedeutsam. Denn sie haben mir die positiven Dinge ebenso vor Augen geführt wie die negativen.

Zu Beginn dachte ich, es sei mit einigen Streichungen hier, einigen Umformulieren da und anderen Dialogen dort getan. Ganz sicher haben diese Anpassungen bereits etwas Positives bewirkt. Gereicht haben sie jedoch bei Weitem nicht.

So sitze ich nun da, 18 Jahre, nachdem ich Dickhäuter schrieb, und arbeite im Text, als wäre er neu. Ich sehe in mein Leben vor 18 Jahren, sehe meine Gedanken von damals und stelle dabei auch die Beschränkungen fest, die mich seinerzeit beengten.

Ich schreibe neue Szenen, sogar neue Kapitel, gebe dem Roman Fleisch, weil das Skelett, das es bislang gab, zu wenig war. Als mir eine Testleserin schrieb, sie komme in die Figur nicht hinein und finde die Geschichte daher langweilig, brachte ich diese Reaktion mit einer sehr positiven in Relation, die davon sprach, wie zu Herzen gehend und zutiefst menschlich meine Geschichte sei.

Was mich zur Überzeugung brachte, dass nichts an dem Roman zu viel war, sondern zu wenig. 

Es ging nicht darum, ein Zuviel von etwas zu korrigieren, sondern ein Zuwenig an etwas anderem.

Es fehlte an Erzählung im klassischen Sinn, und so darf ich mich nun erneut in den Dickhäuter einfühlen. Da die Geschichte tragisch ist, ist es nicht immer ein Vergnügen, denn ich war 2001 nicht in bester Verfassung. Meine existenzielle und prägende Krise merkte man diesem Roman immer an, der mit knapp unter 100 Seiten eher eine Erzählung war und aus heutiger Sicht zu konzentriert – oder egozentrisch – um eine Sache kreiste. Mit Dickhäuter schrieb ich mir Lasten von der Seele, doch ist dieser therapeutische Ansatz kein Garant für eine interessante Geschichte, die die Leserschaft erreicht. Ich habe es auch nie als Therapie, sondern als Geschichte schreiben wollen.

Heute, 2019, sehe ich viele Dinge glücklicherweise anders, und so schreibe ich einen neuen Dickhäuter. Dabei geht es nicht um die Ersetzung oder Streichung des Bestehenden – das Meiste von dem, was ich nach meiner ersten Überarbeitung im Frühjahr 2019 bereits umgearbeitet habe, wird auch in der Neuversion erhalten bleiben. Dafür gibt es mehr Einblick, mehr Welt, mehr Leben. Szenen und Momente, die ich mir nie habe vorstellen können. Facetten und Blickwinkel, die ich erstmals jetzt einnehme. Und somit auch Erklärungen in die Seele von Markus, der sich im Verlauf des Romans in einen selbsternannten Dickhäuter verwandelt. Mit jeder Zeile entferne ich mich von der Therapie, die die Geschichte 2001 für mich war, hin zu einer wirklichen, echten Geschichte. Dickhäuter wird dadurch erheblich länger als zuvor, bereits jetzt ist mit über 40 zusätzlichen Seiten über ein Drittel des vorherigen Gesamtumfangs hinzugekommen, und ich bin noch recht weit am Anfang der Geschichte. Angefangen mit weiteren Umformulierungen und Erweiterungen bestehender Kapitel ist nun mit „Welpe“ das erste komplett neue Kapitel hinzugekommen, ein weiteres namens „Pinsel“ entsteht derzeit, und noch ein weiteres ist fest eingeplant. 

Ich bin gewillt, die Geschichte so lang werden zu lassen, wie es ihr guttut. Wenn die drei neuen Kapitel und die teils massiven Ausbauten bestehender Kapitel ausreichen, soll es mir recht sein – sollten es weit mehr Kapitel werden, ist es genauso gut.

Wie lang der Dickhäuter letztlich werden wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Wohl aber weiß ich, dass der Dickhäuter seine Grundstruktur behalten wird. Alle Dinge, die in der ersten Version geschahen, geschehen auch jetzt. Der Ausgang von damals wird der Ausgang von morgen sein. Vieles bleibt, und das ist auch ein gutes Zeichen, es spricht für die Geschichte, die es in der kurzen Originalversion gab. 

Das Wunderbare ist dabei zu entdecken, was alles bereits im Roman geschlummert hatte, ohne ge- und beschrieben worden zu sein – es ist herrlich, Figuren nach so vielen Jahren wiederzutreffen und ihnen mehr Tiefe, mehr Leben zu verleihen.

Und ich lerne etwas über mich selbst. Dass die Distanz von 18 Jahren eine wohlige Distanz zum damals Geschriebenen ermöglicht – es ist eine Distanz auch zum damaligen Ich, das so unendlich überzeugt von dem Text war.

Dickhäuter war ein Teil meines Lebens und ist es wieder. Mein Ich von 2001 und meines von 2019 arbeiten mehr oder weniger zusammen.

Ohne das Feedback meiner TestlerserInnen wäre ich nie zu dem Punkt gekommen und klar gesehen, dass das Gute im Roman es wert ist, es besser zu machen. Denn um ein Haar hätte ich den Dickhäuter komplett verworfen und hätte ihn in der alten Form ins ewige Datengrab befördert.

Die Arbeit am Dickhäuter hat damit auch überraschenderweise mein aktuelles Romanvorhaben ins Aus befördert, doch das macht nichts. 

Es fühlt sich gut und richtig an. 

Roman-Tagebuch 4: Eine Idee endet (vorerst)

Manchmal muss man Ideen einfach aufgeben – so auch den Neustart des Romans, über den ich hier zumindest teilweise berichtet habe. Nach all den Jahren der Beschäftigung damit haben sich mir mehrere Herausforderungen gestellt.

Über die Tatsache, dass es nur einen Protagonisten gibt, habe ich schon berichtet – nun wäre eine Robinsonade wie diese nicht die erste ihrer Art gewesen, da neben Robinson Crusoe auch Marlen Haushofers „Die Wand“ ein weiteres prominentes Beispiel ist.

Gerade mit letzterem Roman hätte sich meiner immer vergleichen müssen, obwohl so gut wie nichts ähnlich zu Haushofers Roman ist – außer der Einsamkeit des Protagonisten und seinem Weg darin. 

Gerade in den letzten Monaten habe ich Fortschritte erzielt hinsichtlich Kontinuität und Gestaltung. Dennoch blieben Zweifel daran, ob es mir letztlich gelingen würde, die Story angemessen umzusetzen. Offenbar gelang es mir nicht. Und offen gestanden: Ich habe während der Arbeit daran nun auch die Lust verloren. Was nicht heißen soll, dass ich niemals weiterarbeiten werde. Aber das, was ich in den letzten Monaten erarbeitet habe, gefällt mir nicht, überzeugt mich nicht, und ich kann keine Motivation dafür schöpfen – und ich denke, das ist dann auch der springende Punkt. Es liegt weniger an dem Roman selbst, als mehr an meiner Haltung dazu. Ich arbeite an anderen Dingen, die sich größer gestalten, als ich anfangs dachte. Es ist auch eine befriedigendere Arbeit, der ich mich nun zunächst stärker widme. 

Das ist in Ordnung. 

Wie es letztlich mit meiner Version einer Robinsonade weitergeht, weiß ich nicht. Darauf kommt es auch gar nicht an. Wichtig ist nur, den Kopf freizubekommen und nicht aus dem Schreiben selbst zu geraten. Vielleicht werde ich noch eines Tages erneut von einem Blitz getroffen, vielleicht ist der Roman eines Tages tatsächlich fertig. Oder auch nicht. Es ist nicht wichtig.

Die Idee gebe ich für andere auf, die derzeit Gestalt annehmen. Es wird ein guter Tausch sein.

Vorgestellt: Mein Pseudonym Sasha Scott

Darf ich vorstellen? Sasha Scott. Mein Alter Ego, mein Pseudonym, wie immer man es nennen mag. Treffend ist beides. Warum habe ich mich dazu entschieden?

Weil ich schreibend in zwei Welten lebe und ich erfahre, dass sie nicht zueinander passen: Die Phantastik und die Literatur ohne Phantastikbezug. Für beide Welten habe ich Material, für beide Welten begeistere ich mich – aber mir ist bewusst, dass es für LeserInnen schwer sein kann, wie auch für mich: Wer als ErstleserIn in der falschen Welt landet, macht schnell einen Haken an den Rest. Ein Pseudonym ist da klarer, differenzierender und nutzt meiner Ansicht nach der Leserschaft wie auch mir gleichermaßen.

Auch unterscheidet sich mein Schreibstil teilweise erheblich in den beiden Welten und ich möchte daran auch festhalten.

So habe ich mich nun entschieden, mein bereits vor einiger Zeit erdachtes Pseudonym für die Phantastik zu wählen und unter diesem Namen auch künftig Stories in Anthologien und anderen Veröffentlichungen sowie für kommende – und bereits fertige – Romane zu verwenden.

Den Anfang macht meine bereits veröffentlichte SF-Erzählung

Wenn Sarah in den Keller ging, die in der ersten eBook-Version noch unter meinem Geburtsnamen erschien, in der nächsten Version sowie in der Print-Version unter dem Namen Sasha Scott laufen wird.

Außerdem möchte ich noch in 2019 meinen phantastischen Roman Der Wind von Irgendwo unter dem Namen Sasha Scott als eBook veröffentlichen.

Für 2020 steht der ebenfalls bereits fertige SF-Roman Vakuum an, den ich aller Voraussicht nach ebenfalls im Selfpublishing veröffentlichen werde. Hinzu kommen mindestens 2 ebenfalls bereits fertige längere Erzählungen und möglicherweise einen Band mit SF-Stories.

Unter meinem Geburtsnamen wird es 2020 die Veröffentlichung meines Romans Dickhäuter ebenfalls im Selfpublishing geben – derzeit bearbeite ich den Roman umfassend, worüber ich natürlich hier im Blog weiterhin berichten werde.

Warum ich Sasha Scott als Pseudonym wählte, ist schnell erklärt: Unser erster Hund, ein Airdale Terrier, den meine Eltern kauften, hieß Sascha – mein zweiter Hund, ein Dalmatiner, hieß Scotty. Tiefer habe ich über die Materie nicht nachgedacht, denn für mich war das Pseudonym aus beiden Namen immer so klar wie unumstößlich. 

Zu finden bin ich auf Twitter nicht nur wie gewohnt unter https://twitter.com/oliverkochnet sondern jetzt auch unter https://twitter.com/sashascottautor .

Meine Story „Drohne Drei“ in der SF-Anthologie „Flucht aus Zumura“

Experimente gefällig? Mit der SF-Story „Drohne Drei“ bin ich mal eins eingegangen. Und als Teil der SF-Anthologie „Flucht aus Zumura“ aus dem Verlag für Moderne Phantastik Gehrke ist sie auch bereits erschienen. Warum sie experimentell ist? Weil sie so beginnt:

Dies ist kein Ort mehr. Über dem, was er einst war, liegen Schichten aus Nichts. Die Stille ist verurteilt, hier zu sterben. Die Zeit von Laut und Leise, von Ton und Klang ist schon keine Asche mehr im Hoffnungslosen dieser Ewigkeit, die diesen Ort, der keiner ist, an diese Stelle nagelt, an dem das Nichts ihn langsam schleift. 

Übrigens: So geht es weiter. „Drohne Drei“ ist ein Sprachexperiment, das sich liest wie ein Gedicht in Prosaform.
Ehrlich gesagt war ich skeptisch, ob ich diesen Text einschicken sollte. Ich hab’s getan, und tja, nun ist er in der Welt. So kann sich jeder selbst davon ein Bild machen. Aber Achtung: Es gibt keine Personen außer besagter Drohne Drei, und es geht um nicht mehr als die Entdeckung eines Ortes, die sie macht. Und um die Frage, wo sie um aller Welt überhaupt gelandet ist, was hier geschehen ist und was daraus letztlich folgt. Der Rest ist … – ach, seht selbst.
Erhältlich als eBook bei Amazon bzw. wie die Print-Version als Print-Ausgabe direkt beim Verlag

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