Es ist nie zu spät, um sich über seine Handschrift zu sorgen. Oder gleich ihren Verlust zu betrauern. Was nach Jahren Schule, Uni und Beruf von meiner Handschrift übrig blieb, ist meist beklagenswert. Das „schnelle Mitschreiben“, oft mit Kugelschreibern, machte sie zu dem, was sie heute ist: Ein Rudiment aus unleserlichem Gekritzel, das jeden Graphologen meine psychiatrische Einweisung empfehlen lassen würde. Vor allem ist sie hässlich. Schade eigentlich. Und nun?
Gäbe es noch Schulnoten für Schönschrift wie in der Grundschule, so hätte ich ein Problem: Als Klassenletzter wäre ich bedauernswertes Schlusslicht mit satter 6. Dabei war das früher anders. Und schreibe ich mit Füller und gebe mir noch Mühe, kommt ein schwacher Abglanz dessen heraus, was ich vor vielen Jahren mal zustande brachte.
Da ist es kein Trost, ähnliche Geschichten von anderen zu hören. Oder über deren Handschrift zu stolpern und mich nicht entscheiden zu können, ob ich sie bemitleiden oder froh darüber sein soll, dass ich mit meiner ins Schreckliche mutierten Handschrift nicht allein bin – doch trotz des halben, da geteilten Leids bleibt es bei meinem eigenen Verlust. Das wiegt insofern schwerer, als dass nur ich dafür verantwortlich bin, sowohl für die Fahrlässigkeit an sich, die meine Handschrift aus jeder Form geraten ließ, als auch für die fehlende Disziplin, das Ruder rumzureißen.
Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass berufliche Mitschriebe beispielsweise am Telefon oder in Meetings keine Zeit für ästhetische Übungen lassen. Doch dass ich dies als Ausnahme einer Regel festige, über die ich selbst bestimmen könnte, ist mein eigenes Problem. Denn ich stelle fest, dass nicht nur Eiligkeit beim Mitschreiben mich zur hässlichen Schrift zwingt, sondern auch einfache Unachtsamkeit: Notizen für mich persönlich bräuchten die hohe Geschwindigkeit nicht, und doch gehe ich sie immer an, als müsste ich sie schleunigst hinter mich bringen. Heraus kommt etwas, das selbst ich als Urheber Tage später nur mit Mühen entziffern kann.
So wenig also gehört meine Handschrift zu mir – streng genommen dürfte ich gar nicht „meine Handschrift“ sagen. Vielmehr scheint sie Produkt von etwas anderem zu sein. Die Striche und Zacken in der Schrift folgen keiner Regel, beim Schreiben nehme ich wahr, wie sehr mir die Konturen entgleiten, als hätten sie ein Eigenleben.
Ich stellte fest, dass die Notizen, die ich mir mache, „raus“ aufs Papier müssen, zu welchem Preis auch immer. Mich leitet das Bedürfnis, schnell Dinge zu Papier zu bringen. So als würde ich sie in zehn Sekunden vergessen haben..
Das bringt mich zu der Frage, ob ich verlernt habe, bewusst beim Schreiben zu bleiben, oder ob ich wie ferngesteuert einem Impuls erliege, alles möglichst schnell aufs Papier zu bekommen. Kann man Handschrift als reine Funktion sehen wie beispielsweise das Tippen auf der Tastatur? Das sicher schneller geht und sich nicht um Form und Ästhetik schert?
Doch Handschrift – da drängt sich etwas hinein. Persönliche Note oder ihr Fehlen. Ein Zwang zu etwas oder ein Fehlen von Zwang.
Ich weiß es nicht.
Hin und wieder übe ich das Schreiben – gar nicht einmal das Schönschreiben, sondern einfach nur das banale Deutlichschreiben. Selbst das ist fast unmöglich. Ein Verlust, ohne Frage. Und die Sorge, tatsächlich etwas verlernt oder gar verloren zu haben: Eine Fertigkeit, oder gar ein Bewusstsein? Das eine wäre traurig, das andere tragisch.
So oder so: Ich muss wohl sagen Goodbye, Handschrift.