Ja, es wirkt zunächst seltsam: In einem Diary Slam lesen Männer und Frauen aus ihren Tagebüchern vor – auf einer Bühne und vor anwesendem Publikum. Wer macht denn so was? Und dass das Publikum dann wie in einem richtigen Slam üblich Punkte vergibt und einen Sieger kürt: Klingt seltsam? Alles halb so wild, wie mein Besuch bei dem 2. Karlsruher Diary Slam zeigte.
Nein, Tagebucheinträge anderer interessieren mich überhaupt nicht. Und dass nach den grassierenden Poetry Slams und den inzwischen zur Mode gewordenen Science Slams nun auch noch vermeintlich intime Tagebuch-Lesungen in die Slam-Welle hineingezogen und damit eventisiert werden, sah ich zuvor kritisch bis langweilig. Das teilweise ekstatische Ausflippen der Zuhörer nervt mich nämlich auf Dauer.
Doch es kam anders.
Denn was die 4 Lesewilligen da zum Besten gaben, war komisch bis skurril – und ganz sicher nicht immer ehrlich.
Da war der professionelle Tagebuch-Schreiber, der witzig-poitinert seine Einträge zum Besten gab – seine teilweise sexuellen Eskapaden ließen das Gefühl aufkommen, dass er seine Tagebücher schrieb, um sie auf Diary Slams öffentlich vorzutragen. Zu sehr auf Effekt bedacht, zu artifiziell erzählte er Geschichten. Das Zuhören war ein Vergnügen, auch wenn man ihm die Authentizität nicht ganz abnehmen konnte.
Da war die junge Frau mit Farbe auf der Nase, die aus ihrem Traumtagebuch vorlas – nichts Erlebtes im klassischen Wortsinn, und somit rein Deskriptives. Als Traumbeschreibung ließ sich nicht verorten, was an dem Vorgetragenen authentisch war und ob und wann eine Erzählperson einschritt. Durchaus interessant und der Auseinandersetzung wert, kam jedoch im Publikum weder Interesse noch Spannung auf.
Da war der türkischstämmige Mann, der sehr natürlich aus seinen Aufzeichnungen über seine Fahrt in die Türkei während seiner Kindheit erzählte. Auch wenn der Text selbst zu erwachsen erschien, um ein wirkliches Tagebuch eines Kindes zu sein, spürte man hier: Das war erlebt, das war recht unmittelbar, auch wenn Jahre zwischen Geschehen und Aufschreiben gelegen haben mochten. Das Publikum dankte es mit einem zweiten Platz.
Schließlich die Siegerin, eine junge Frau, die wirklich aus ihrem echten Tagebuch vorlas, das sie als 12- und 13-Jährige führte. Geschehen, Sprache und wiedergegebene Weltsicht waren so herrlich kindisch und direkt-persönlich, dass die Autorin bei ihrem Vortrag selbst mehrfach aus dem Lachen nicht herauskam. Das Publikum johlte – es bekam das, was es von einem Diary Slam erwartet hatte und kürte sie zur Siegerin des Abends.
Die Moderation des Frankfurter Autors Jannis Plastargias war launig und mitreißend. Das Publikum war nicht vor ihm sicher. Anders als bei Poetry Slams, in deren Verlauf ausgewählte Zuschauer die Wertungen der Texte vornehmen und sonst nicht eingebunden werden, wurden immer wieder Einzelne aus dem Publikum entweder auf die Bühne geholt, zu Hilfsarbeiten wie das Zusammenzählen der Punkte und dem Errechnen des Durchschnttswerts aufgefordert oder einfach nur plötzlich kurz befragt.
Keine Frontal-Veranstaltung also, die dem Zuschauer das Zuhören, Johlen und eventuell das Abstimmen überlässt.
Und die Texte?
An diesem Abend jedenfalls gar es keinen einzigen ernsten Ton zu hören. Keiner der Autoren entblößte sich selbst und ließ damit das Publikum verstummen. Wer Voyeurismus suchte, wurde nicht belohnt. Stattdessen gab es Einblicke und Sichtweisen in mehr oder weniger private Abschnitte anderer Leben mit ganz eigenem Tonfall.
Lohnender Abend, den das Karlsruher Bücherbüffet gemeinsam mit dem jubez Karlsruhe veranstaltete.
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